OLG Wien-Entscheidung vom 3.5.2024, 33 R 171/23v

 

Sachverhalt:

Die Klägerin war von November 2014 bis Mai 2015 bei einer Tageszeitung tätig. Die Beklagte ist Medieninhaberin der Kauf- und Gratisausgabe dieser Tageszeitung. Sechs Jahre später veröffentlichte die Beklagte einen Artikel, der auch ein Lichtbild der Klägerin enthielt.

Der Artikel trug die Überschrift „Angebliches ‚MeToo-Opfer‘ schrieb O***** Chef ‚Liebesbrief‘“ und war mit dem Portraitfoto der Klägerin illustriert. Im Bildtext wurde der Name der Klägerin genannt und ausgeführt, dass zwei Moderatorinnen, die behaupten würden, W*F [Geschäftsführer und Herausgeber] habe sie begrapscht und sexuell belästigt, sich mit der Chefredakteurin eines dritten Mediums verbündet hätten, um den Ruf von W*F zu schädigen. Ihre Vorwürfe würden sich als unwahr erweisen, wie auch in einer Unterüberschrift hervorgehoben wird. Den Vorwurf der „angeblich sexuellen Belästigung“ habe die Klägerin – bis 2020 – zu keinem Zeitpunkt thematisiert oder auch nur angesprochen. W*Fs Bilanz laute, er sei fassungslos über so ein Höchstmaß an Unwahrheiten und Intrigen.

Die Klägerin sah darin eine Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild und begehrte vor Gericht die Zahlung von EUR 20.000 als Schadenersatz. In dem Artikel sei die falsche Behauptung verbreitet worden, dass der von ihr erhobene Vorwurf gegen den Herausgeber sei unwahr und eine Intrige.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 10.000 und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer EUR 10.000 ab. Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass der Artikel der Beklagten ehrenbeleidigend und kreditschädigend iSd § 1330 Abs 1 und 2 ABGB sei, weswegen gemäß § 87 Abs 2 UrhG ein Ersatz des immateriellen Schadens von EUR 10.000 zustehe.

Beide Parteien bekämpften das erstinstanzliche Urteil mit Berufung. Das OLG Wien befand nur der Berufung der Klägerin für berechtigt.

Das OLG Wien stimmte der Beurteilung des Erstgerichts betreffend die Verletzung des Bildnisschutzes nach § 78 UrhG zu. Erfüllt der Begleittext der Bildnisveröffentlichung den Tatbestand des § 1330 ABGB, verstößt die diesen illustrierende Bildnisveröffentlichtung gegen § 78 UrhG.

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsleser. Der subjektive Wille des Äußernden ist nicht maßgeblich. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird.

Der durchschnittliche Leser wird dem Artikel den Vorwurf entnehmen, die Klägerin behaupte wahrheitswidrig, dass der Herausgeber sie sexuell belästigt habe. Aus der Behauptung, sie habe sich mit anderen verbündet, um seinen Ruf zu schädigen, und es handle sich um Intrigen, ergibt sich unmissverständlich, dass sie nicht nur unwahre Vorwürfe verbreite, sondern dies auch vorsätzlich tue. Damit wird der Klägerin unterstellt, dass sie ihren ehemaligen Arbeitgeber bewusst zu Unrecht eines sozial äußerst verpönten, rechtswidrigen und allenfalls sogar strafrechtlich relevantes Verhaltens bezichtigt, um seinen Ruf zu schädigen.

Diese Unterstellung greift die Würde der Klägerin an und schädigt ihren Ruf. Die im Artikel aufgestellte Behauptung ist objektiv überprüfbar, es handelt sich also um eine Tatsachenbehauptung, die ehrenbeleidigend und rufschädigend iSd § 1330 Abs 1 und 2 ABGB ist. Die Veröffentlichung wäre daher nur dann nicht rechtswidrig, wenn die Beklagte den Wahrheitsbeweis erbringt. Dass die im Artikel aufgestellten Behauptungen über die Klägerin wahr wären, hat sie aber nicht einmal behauptet. Die Verbreitung unwahrer Tatsachen lässt sich auch nicht mit der in Art 10 EMRK normierte Meinungsäußerungsfreiheit rechtfertigen.

§ 87 Abs 2 UrhG gibt dem Verletzten bei rechtswidrigen und schuldhaften Verstößen gegen § 78 UrhG einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden. Ein immaterieller Schaden iSd § 87 Abs 2 UrhG ist dann zu ersetzen, wenn die Beeinträchtigung den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen Ärger übersteigt, es sich also um eine ganz empfindliche Kränkung handelt. „Kränkung“ ist in diesem Zusammenhang nicht allein das subjektive Empfinden des Verletzten, sondern maßgebend ist, ob und in welchem Ausmaß seine Persönlichkeit im weitesten Sinn – Gefühlssphäre, geistige Interessen und äußerer Bereich der Persönlichkeit – in objektivierbarer Weise beeinträchtigt wird.

Die empfindliche Kränkung kann auch dadurch verursacht werden, dass der Veröffentlichung des Lichtbilds im Zusammenhang mit dem Inhalt des damit verbundenen Texts keinerlei Nachrichtenwert zukommt, die Betroffene also erst dadurch der Gefahr ausgesetzt wird, in der Öffentlichkeit „an den Pranger gestellt“ zu werden.

Die Beklagte wandte ein, dass die Klägerin mehr als zwei Jahre mit der Einbringung der Klage zugewartet habe. Das OLG Wien war der Ansicht, dass dem durch eine Missachtung des Bildnisschutzes Verletzten, der sich mit der Klage auf Schadenersatz Zeit lässt, nicht schon deshalb unterstellt werden kann, er habe keine besonders schwere Beeinträchtigung der sozialen Wertstellung erlitten. Es besteht keine Rechtspflicht, innerhalb der Verjährungsfrist besonders rasch aktiv zu werden.

Die Höhe des Ersatzes des immateriellen Schadens sollte für den Verletzer zumindest fühlbar sein und der Allgemeinheit verdeutlichen, dass sich Rechtsverletzungen dieser Art nicht lohnen. In die Bemessung sollen etwa der Grad des Verschuldens, die Intensität und Dauer der Verletzung, die Verbreitung des das Bild veröffentlichenden Mediums, die Abweichung des Begleittextes vom wahren Sachverhalt und ein dem Abgebildeten zu Unrecht unterstelltes Motiv einfließen.

Die Klägerin wurde bezichtigt, im besonders sensiblen Bereich der sexuellen Belästigung im Arbeitsumfeld einen ehemaligen Vorgesetzten zu Unrecht beschuldigt zu haben, um seinem Ruf zu schädigen. Der Vorwurf einer derartigen Vorgangsweise ist geeignet, die Klägerin massiv zu kränken und ihren Ruf als Kollegin, Mitarbeiterin und Teilnehmerin am sozialen Leben stark zu beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass die Beklagte den inkriminierten Artikel, der keinen erkennbaren Nachrichtenwert hat, in zwei auflagenstarken Tageszeitungen veröffentlichte, die vom Gegner der Klägerin in der Auseinandersetzung um den Vorwurf der sexuellen Belästigung herausgegeben werden.

Die Bloßstellung der Klägerin ist damit nicht nur mit großer Öffentlichkeitswirkung und durch ein wirtschaftlich überlegenes Medienunternehmen, sondern ganz offensichtlich in Bedienung der Interessen der Person erfolgte, die die Klägerin sexuell belästigt haben soll. Dass die Veröffentlichung die Klägerin damit der Taktik des „victim blaming“ aussetzt, wog bei der Bemessung des Schadenersatzbetrags besonders schwer.

In der Vergangenheit gewährte die Rechtsprechung für den falschen Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens gegen öffentlich bekannte Personen und damit einhergehende Lichtbildveröffentlichungen Ersatzbeträge im mittleren bis höheren vierstelligen Bereich. Unter Anrechnung von gemäß § 6 MedienG erwirkten Entschädigung zum Teil Gesamtbeträge bis ca. EUR 15.000.

Unter Berücksichtigung der Bemessungskriterien hielt das Berufungsgericht die begehrte Entschädigung von EUR 20.000 für angemessen, um die Persönlichkeitsverletzung der Klägerin spürbar zu ahnden und die erlittene Kränkung auszugleichen. Der Klägerin wurden daher weitere EUR 10.000 zuzusprechen, sodass ihr insgesamt EUR 20.000 zugesprochen wurden.

 

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