OGH-Entscheidung vom 22.1.2020, 9 ObA 120/19s

 

Sachverhalt:

Der Kläger war bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Ihm stand ein Dienstwagen zur Verfügung, den er auch privat nutzen durfte. In diesem Dienstfahrzeug hatte die Beklagte ohne Kenntnis des Mitarbeiters ein GPS-Ortungssystem eingebaut. Die Daten wurden rund um die Uhr übertragen, auch in der Freizeit der Arbeitnehmer. Die Daten konnten vom Geschäftsführer der Beklagten, dem Vertriebsleiter, dem Produktionsleiter und einer Innendienstleiterin jederzeit über das Internet angesehen werden. Die Beklagte nutzte das GPS-Ortungssystem nicht zur strategischen Vertriebssteuerung. Eine Betriebsvereinbarung über diese GPS-Ortung gab es bei der Beklagten nicht.

Nachdem der Kläger erstmals zufällig Kenntnis von der ständig erfolgten GPS-Überwachung durch die Beklagte erlangte, erklärte er gegenüber seinem Vorgesetzten, dass er mit der durchgehenden GPS-Ortung nicht einverstanden sei. Die Überwachung wurde dennoch nicht eingeschränkt oder eingestellt.

Die GPS-Ortung brachte für den Kläger erhebliche Unannehmlichkeiten. Oft wurde er von seinem Vorgesetzten angerufen und gefragt, warum er so spät von daheim weggefahren sei. Da der Kläger nicht wollte, dass sein Privatleben durch die GPS-Ortung des Dienstfahrzeugs kontrolliert und überwacht wurde, fuhr er auch nicht mit dem Dienstfahrzeug, sondern mit einem anderen Auto auf Urlaub.

Nach Ende des Dienstverhältnisses begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von ideellem Schadenersatz iHv 6.000 EUR (ca 1.000 EUR pro Monat). Durch die ständige rechtswidrige und schuldhafte GPS-Überwachung, auch in der Freizeit, habe die Beklagte erheblich in seine Privatsphäre eingegriffen. Durch die ständige Überwachung sei er massiv unter psychischem Druck gestanden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen immateriellen Schadenersatz von 2.400 EUR (400 EUR pro Monat) zu. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH befand die Revision des Klägers zwar für zulässig, jedoch nicht berechtigt. Aus der Begründung:

Wer rechtswidrig und schuldhaft in die Privatsphäre eines Menschen eingreift oder Umstände aus der Privatsphäre eines Menschen offenbart oder verwertet, hat ihm gem § 1328a Abs 1 ABGB den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Bei erheblichen Verletzungen der Privatsphäre, etwa wenn Umstände daraus in einer Weise verwertet werden, die geeignet ist, den Menschen in der Öffentlichkeit bloßzustellen, umfasst der Ersatzanspruch auch eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Mit § 1328a ABGB wurde das Recht auf Wahrung der Privatsphäre als eigenständiges Persönlichkeitsrecht ausdrücklich im ABGB verankert.

Die „persönlichen Rechte“ sind absolute Rechte und genießen als solche Schutz gegen Eingriffe Dritter. Nach herrschender Auffassung sind auch im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Dies ergibt sich insbesondere aus den §§ 16, 1157 ABGB und § 18 AngG. Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der Arbeitnehmer die Zustimmung des Betriebsrats. Korrespondierend dazu normiert § 10 Abs 1 AVRAG, dass die Einführung und Verwendung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen, welche die Menschenwürde berühren, unzulässig ist, es sei denn, diese Maßnahmen werden durch eine Betriebsvereinbarung geregelt oder erfolgen in Betrieben, in denen kein Betriebsrat eingerichtet ist, mit Zustimmung des Arbeitnehmers.

Eine solche Zustimmung lag für die Einführung und Verwendung des GPS-Ortungssystems in bestimmten Dienstfahrzeugen der Beklagten im vorliegenden Fall jedoch unstrittig nicht vor. Diese wäre jedoch erforderlich gewesen, da eine auf Dauer angelegte systematische Überwachung durch den Betriebsinhaber vorlag. Die Beklagte griff damit in die Privatsphäre des Klägers ein.

Bei Maßnahmen oder Systemen, die die objektive Eignung zur Kontrolle der Arbeitnehmer erfüllen, ist weiters zu prüfen, ob dadurch die Menschenwürde berührt ist. Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme dann „berührt“, wenn dadurch die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird. Aber auch durch die Kontrollintensität der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens des Arbeitnehmers kann eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden. Die Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme berührt wird, bedarf letztlich einer Interessenabwägung. Die Interessen des Arbeitgebers, der im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der Arbeitnehmer hat, sind mit den Interessen des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen.

Da sich die Beklagte darauf berufen hatte, dass das GPS-Ortungssystem einem effizienten Fuhrparkmanagement und dem Ressourceneinsatz diene, dies durch die Feststellungen jedoch wiederlegt wurde, gelang der Beklagten nicht der Beweis, dass sie in Verfolgung eines berechtigten Interesses gehandelt hatte. Durch die Verwendung des GPS-Ortungssystems im Dienstfahrzeug des Klägers während dessen Arbeitszeit (und Freizeit) hat sie rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich) in die Privatsphäre des Klägers, nämlich seinen höchstpersönlichen Lebensbereich, eingegriffen. Die dauernde Ortungsmöglichkeit während der Arbeitszeit des Klägers berührt jedenfalls die Menschenwürde des Klägers.

Ein immaterieller Schadenersatzanspruch nach § 1328a ABGB steht dem Verletzten bei „erheblichen“ Verletzungen der Privatsphäre zu. Intensität und Ausmaß der Verletzung sind entscheidend. Immaterieller Schadenersatz soll dann zugesprochen werden, wenn der Betroffene den Eingriff in seine Privatsphäre auch als solchen empfindet. Dieses Erfordernis war laut OGH erfüllt und der Zuspruch eines Schadenersatzes iSd § 1328a ABGB an den Kläger erwies sich als berechtigt. Die vom Erstgericht zugesprochene Höhe erschien dem OGH angemessen.