OGH-Entscheidung vom 20.12.2023, 6 Ob 173/23v

 

Sachverhalt:

Der Beklagte ist Arzt und Erfinder eines medizinischen Geräts. Er war Gründungsgesellschafter und Alleingeschäftsführer der Klägerin. Diese vertreibt ein Medizinprodukt. Beide Parteien schlossen einen ausschließlichen, unwiderruflichen und unbefristeten Lizenzvertrag über die zur Entwicklung dieses Geräts erforderlichen Patente. Eine (ordentliche) Kündigungsmöglichkeit wurde nur der Klägerin als Lizenznehmerin eingeräumt. Dem Beklagten wurde nur die Möglichkeit eingeräumt, den Vertrag aus dort angeführten wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aufzulösen.

Die Klägerin beantragte in weiterer Folge eine EU-Förderung, die mit einem Fördervolumen von rund 2,2 Mio EUR auch gewährt wurde. Aufgrund von Unstimmigkeiten schied der Beklagte etwa später gänzlich aus der Gesellschaft aus. Das EU-Förderprogramm war aber auch ohne den Beklagten erfüllbar. In weiterer Folge erklärte der Beklagte die sofortige Beendigung der Lizenzverträge. Dem widersprach der Klagevertreter, weil kein wichtiger Grund für eine sofortige außerordentliche Vertragsauflösung vorgelegen sei. Dennoch richtete der Vertreter des Beklagten ein Schreiben an die Förderstelle, das die (klagsgegenständlichen) Äußerungen enthielt:

„[…] We represent [den Beklagten] and herewith would like to inform you, that since January 22nd 2021 the license agreement with [der Klägerin] of July 18th 2015 was terminated.

[…] Since [der Beklagte] is no longer a share holder of [der Klägerin] and there is no valid license for [die Klägerin] to be able to fulfill the project *, we also announced the omission to develop, manufacture and sell A* to [der Klägerin] with August 3rd 2021. […].“

Die Klägerin klagte auf Unterlassung. Diese Behauptungen seien unrichtig und zielten darauf ab, der Klägerin die Weiterentwicklung und den Vertrieb des entwickelten Produkts zu erschweren. Der Beklagte sei gemäß dem Lizenzvertrag zu einer Kündigung des Lizenzvertrags nicht berechtigt gewesen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der OGH gab der außerordentlichen Revision des Beklagten jedoch Folge und wies die Klage ab.

Die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung hat nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen. In den Äußerungen des Beklagten ging es klar erkennbar darum, dass die Klägerin keine Lizenz mehr habe. Daher versteht der Leser das Wort „terminated“ dahin, dass der Lizenzvertrag bereits wirksam beendet sei.

Dauerschuldverhältnisse können nach ständiger Rechtsprechung durch einseitige Erklärung aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Schuldners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar machen. Allerdings ist hier ein strenger Maßstab anzulegen.

Das Berufungsgericht war der Auffassung, weder Veränderungen in der Gesellschafterstruktur der Klägerin noch das Ausscheiden des Beklagten aus der Gesellschaft einen wichtigen Grund für eine Aufkündigung des Lizenzvertrags durch den Beklagten darstellten, ebenso wenig unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft zu führen sei. Der Fall des Rückzugs des Beklagten aus der Gesellschaft sei bereits bei Abschluss des Lizenzvertrags bedacht und dafür eine eigene Regelung über das dann zu zahlende Entgelt getroffen worden. Der Lizenzvertrag sei daher weiterhin aufrecht. Ob diese Beurteilung des Berufungsgerichts zutrifft, musste im vorliegenden Fall aber nicht vom OGH geklärt werden.

Unwahre Tatsachenbehauptungen sind nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die Äußerung, wonach die klagende Partei nicht in der Lage sei, das Projekt zu erfüllen, ist jedenfalls unwahr. Aber selbst wenn die außerordentliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes unwirksam wäre und daher auch die entsprechenden des Beklagten unwahr waren, besteht jedoch wegen des Vorliegens des Ausnahmetatbestands des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB kein Unterlassungsanspruch der Klägerin: Denn nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB besteht keine Haftung für eine nichtöffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

Berechtigt ist das Interesse an der vertraulichen Mitteilung nach der ständigen Rechtsprechung, wenn diese für die persönlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen oder Verhältnisse von Bedeutung ist oder ein öffentliches Interesse an der Mitteilung besteht. Dabei genügt, dass der Empfänger bei Unterstellung der Wahrheit der Mitteilungen ein berechtigtes Interesse daran hat. Unterstellt man die Wahrheit der inkriminierten Äußerungen, wäre ein berechtigtes Interesse der Projektleiterin gegeben.

Bei der Beurteilung des vertraulichen Charakters einer Mitteilung (also ihrer Nichtöffentlichkeit) kommt es auf die erkennbare Absicht des Mitteilenden an. Vertraulichkeit liegt dann vor, wenn mit einer Weiterverbreitung nicht zu rechnen ist, etwa weil eine gesetzliche oder vertragliche Verschwiegenheitspflicht besteht.

Die Förderstelle führte aufgrund des inkriminierten Schreibens eine „behördliche Überprüfung“ betreffend die der Klägerin gewährten Förderung durch. Deren Mitarbeiter sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nach den Rechtsprechungsgrundsätzen ist daher bei dem inkriminierten Schreiben von einer vertraulichen Mitteilung iSd § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB auszugehen.

Es kommt nicht darauf an, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an. Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit trifft den Kläger. Die Klage ist daher abzuweisen, wenn der Täter zwar den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder gar nicht angetreten, die Unwahrheit jedoch nicht wider besseres Wissen behauptet hat.

Aus dem bloßen Umstand, dass die Klägerin der außerordentlichen Kündigung widersprochen hat und deren Wirksamkeit zwischen den Parteien strittig war, kann nicht der Schluss gezogen werden, der Beklagte oder der Beklagtenvertreter die inkriminierten Behauptungen wider besseres Wissen aufstellten. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass die Äußerung, die Klägerin sei (wegen des Ausscheidens des Beklagten) nicht in der Lage, das Projekt zu erfüllen, wissentlich falsch war.

Die Revision hatte somit Erfolg.

 

 

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