OLG Wien Entscheidung vom 27.11.2023, 33 R 109/23a

 

Sachverhalt:

Die Klägerin war Moderatorin bei „o**.TV“. Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitungen „Ö***“ (Kaufausgabe) und „o***“ (Gratis-Ausgabe).

Die Klägerin warf dem Geschäftsführer und Herausgeber W.F. vor, sie sexuell belästigt zu haben. Zwischen den Parteien wurde ein arbeitsgerichtliches Verfahren geführt, das u.a. diesen Vorwurf zum Inhalt hatte; ebenso wurden medienrechtliche und zivilrechtliche Verfahren geführt. Denn die Beklagte veröffentlichte im Zusammenhang mit diesen Verfahren Artikel, die dahingehend zu verstehen waren, dass die Klägerin Vorwürfe, sexuell belästigt worden zu sein, erfunden habe und solcherart die MeToo-Bewegung missbrauche. Im medienrechtlichen Verfahren wurde die Beklagte bereits rechtskräftig zu einer Entschädigungszahlung von EUR 5.000 je Veröffentlichung verurteilt; artikelbezogen betrug der Entschädigungsbetrag insgesamt EUR 15.000.

In weiterer Folge erschien noch ein Artikel, wonach eine Wirtschaftsprüfungskanzlei penibel untersucht habe, ob die Vorwürfe stimmten. Es gäbe jedoch keinen Hinweis auf ein Fehlverhalten. Die ‚Causa‘ stelle sich nun immer mehr als versuchter Rufmord dar.

Auch im Hinblick auf diesen Artikel brachte die Klägerin eine Unterlassungsklage ein. Im Verfahren wurde ein Unterlassungsvergleich geschlossen, wonach die Beklagte sich dazu verpflichtete, derartige Behauptungen zu unterlassen. Die Klägerin begehrte neben dem Unterlassungsbegehren die Zahlung weiterer EUR 10.000 für den Ersatz immaterieller Schäden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach der Klägerin EUR 10.000 zu. Das Oberlandesgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.

Die §§ 6 ff MedienG derogieren weiterhin nicht dem § 87 Abs 2 UrhG. Diese Bestimmungen gewähren zwar jeweils Ersatz für immaterielle Schäden; es bestehen aber Unterschiede in den Anspruchsgrundlagen, sodass die Ansprüche voneinander unabhängig bei den hierfür zuständigen Gerichten geltend gemacht werden können. Während der Anspruch nach den §§ 6 ff MedienG betraglich begrenzt ist, besteht der Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG nur bei Verschulden; die Haftung ist betraglich nicht begrenzt, und bei der Bemessung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht zu berücksichtigen. Der Anspruch geht über die erlittene Kränkung hinaus und erfasst insbesondere auch (äußere) Persönlichkeitsschäden wie die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs und des sozialen Ansehens. In medienrechtlichen Verfahren zugesprochene Entschädigungsbeträge sind aber wegen der insofern jedenfalls bestehenden Anspruchskonkurrenz auf den Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG anzurechnen.

Die Bemessung des Schadenersatzes nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG erfolgt grundsätzlich eigenständig und unabhängig von Vorentscheidungen der Strafgerichte. Die Höhe des immateriellen Schadenersatzes sollte für den Verletzten zumindest fühlbar sein und der Allgemeinheit verdeutlichen, dass sich Rechtsverletzungen dieser Art nicht lohnen. In die Bemessung fließen der Grad des Verschuldens sowie die Intensität und Dauer der Verletzung ein. Die Art der Veröffentlichung, ihre Reichweite und die Anzahl der Veröffentlichungen sind ebenso miteinzubeziehen wie die Bekanntheit der abgebildeten Person und der Inhalt des Beitrags.

Journalistische Motive im Sinne einer Information der Öffentlichkeit über bedeutsame Ereignisse sind bei dieser Vorgangsweise nicht zu erkennen. Vielmehr fällt das Verhalten unter die Taktik des „victim blaming“, mit der auf Vorwürfe, mit denen jemand konfrontiert ist, systematisch damit reagiert wird, den Urheber oder die Urheberin der Vorwürfe des behaupteten Fehlverhaltens, der oder die sich somit als Opfer fühlt, in die Rolle eines Täters oder einer Täterin zu versetzen, um sich selbst als das „wahre Opfer“ darzustellen.

 

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