OGH-Entscheidung vom 15.12.2015, 8 Ob 129/15a

Sachverhalt:

Die Klägerin und der Beklagte sind Grundstücksnachbarn. Der Beklagte verfolgte die Klägerin mehrmals wöchentlich, unter anderem indem er ihre Nähe aufsuchte, ihr auf der Straße hinterherging, sie filmte und fotografierte sowie vom Gehsteig oder von einem Traktor aus durch das Fenster in ihr Schlafzimmer fotografierte. Er wurde deswegen wegen beharrlicher Verfolgung rechtskräftig verurteilt. Der Beklagte wurde außerdem für schuldig erkannt, die Klägerin durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr, nämlich durch Reiben seines entblößten erigierten Penis unter Umständen, belästigt zu haben.

Die Taten des Beklagten haben bei der Klägerin Wut und Hilflosigkeit ausgelöst, sie wurde dadurch in ihrer Lebensweise beeinträchtigt. Eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert hat die Klägerin nicht erlitten.

Die Klägerin begehrte auf dem Zivilrechtsweg eine Entschädigung für erlittene Schmerzen und Beeinträchtigungen in Höhe von 15.500 EUR.

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach der Klägerin 2.900 EUR zu. Da sie keine krankheitswertige psychische Störung erlitten habe, komme lediglich eine Entschädigung für immaterielle Beeinträchtigung gemäß § 1328a Abs 1 Satz 2 ABGB in Betracht. Dafür erscheine unter Abwägung von Art, Dauer und Nachvollziehbarkeit der zugefügten Unlustgefühle ein Betrag von pauschal 3.000 EUR angemessen, davon sei noch der im Strafverfahren erreichte Zuspruch von 100 EUR abzuziehen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der Klägerin teilweise dahin ab, dass es den Zuspruch auf 4.900 EUR erhöhte. Der Beklagte sei nicht nur wegen Stalkings, sondern auch wegen sexueller Belästigung der Klägerin verurteilt worden, sodass auch nach § 1328 ABGB eine Entschädigung gebühre. Im Rahmen der Globalbemessung komme der beharrlichen Verfolgung gegenüber der einmaligen Belästigung aber das weit größere Gewicht zu. Die lange Dauer der beharrlichen Verfolgung der Klägerin sei als besonders erschwerend zu berücksichtigen, weshalb der vom Erstgericht zuerkannte Betrag insgesamt zu gering anmute.

Der OGH billigte die Entscheidung des Berufungsgerichts und wies die Revision des Beklagten zurück.

Zur aufgeworfenen Rechtsfrage, ob eine (bloße) sexuelle Belästigung einen immateriellen Schadenersatzanspruch nach nach § 1328 ABGB (Schadenersatz bei Verletzung der geschlechtlichen Selbstbestimmung) begründen kann, führte der OGH aus, dass die Klägerin ein pauschales Ersatzbegehren für erlittene Unbill gestellt und dabei nicht nach den Folgen einzelner Geschehnisse innerhalb des Dauertatbestands differenziert hat. Das Berufungsgericht hat dementsprechend auch zutreffend den Entschädigungsbetrag global ausgemessen. Maßgeblich dafür war das gesamte Verhalten des Beklagten und seine Auswirkungen auf das Befinden der Klägerin. Ob für die so ermittelte Entschädigung eine oder mehrere rechtliche Anspruchsgrundlagen zur Verfügung standen, ist für das Ergebnis nicht von Bedeutung und wäre nur dann entscheidungswesentlich, wenn sich das Klagebegehren ausschließlich auf den einmaligen Belästigungsvorfall bezogen hätte.