OGH-Entscheidung vom 19.3.2024, 4 Ob 42/24s

 

Sachverhalt:

Die Apothekerkammer klagte einen Facharzt für plastische Chirurgie. Er gab mehreren adipösen Patienten das Medikament Ozempic (auch bekannt als „Abnehmspritze“) zur Selbstanwendung mit nach Hause, und zwar die für die gesamte Behandlung notwendige Menge. Zumindest einmal bezog er das Präparat nicht von einer österreichischen Apotheke, sondern von einem Handelsunternehmen, wobei zumindest ein Präparat eine Totalfälschung war. Der beklagte Arzt verfügte über keine Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke.

Die Apothekerkammer beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und klagte u.a. auf Unterlassung gestützt auf § 1 UWG. Dem Arzt solle es untersagt werden, Arzneimittel in seiner ärztlichen Praxis abzugeben, soweit diese nicht im Rahmen von Ausnahmebestimmungen zulässig ist.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen erließen die einstweilige Verfügung. Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs des Beklagten zurück.

Der in § 59 Abs 1 AMG verankerte Apothekenvorbehalt bedeutet ein Primat der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch öffentliche Apotheken, wobei Ärzte (nur) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen durch die Bewilligung der ärztlichen Hausapotheke in die Erfüllung dieser Versorgungsaufgabe eingebunden werden. Ärzte sind davon abgesehen nur verpflichtet, Arzneimittel für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen vorrätig zu halten. Es geht dabei ausschließlich um solche Medikamente, die den Patienten zur Leistung einer ersten Hilfe ohne Verzug verabreicht werden müssen, keinesfalls aber um Medikamente, die zur darüberhinausgehenden Therapie eingesetzt werden. Es ist jedoch nicht verboten, Arzneimittel vorrätig zu halten, die zur Erfüllung eines Behandlungsvertrags benötigt werden.

Die Vorinstanzen sind zwar davon ausgegangen, dass eine bloße Anwendung eines Arzneimittels am Patienten durch den behandelnden Arzt mangels Abgabe an ihn nicht dem Apothekervorbehalt unterliege. Auch eine Mitgabe von geringen Mengen eines Arzneimittels zur Selbsteinnahme sei erlaubt, wenn der unmittelbare Zusammenhang mit der Behandlung in der Ordination und die ärztliche Überwachung gewahrt seien.

Durch die Überlassung von nicht geringen Mengen (nämlich eines ganzen Monatsbedarfs) eines Arzneimittels samt Spritzvorrichtungen an die Patienten zum Zwecke einer mehrwöchigen Selbstinjektion ohne jegliche ärztliche Aufsicht hat der Beklagte aber rechtswidrig in den Apothekenvorbehalt eingegriffen. Der OGH befand diese Beurteilung des Rekursgerichts nicht für korrekturbedürftig.

 

Link zur Entscheidung

 

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