OGH-Entscheidung vom 23.9.2022, 4 Ob 163/22g

 

Sachverhalt:

Die Beklagte bewirbt Nasenspray mit der Aussage, dass es zwar eine Infektion mit dem Coronavirus nicht vollständig verhindere, aber das Risiko einer Infektion und Virusverbreitung stark reduziere. Es bilde einen Schutzfilm auf der Schleimhaut von Nase und Rachen und lege sich wie ein Netz über die Virenhülle. Durch diese Barriere würden Coronaviren am Eindringen in die Atemwege und an der Verbreitung gehindert. Die dadurch geminderte Virenlast erlaube es dem eigenen Immunsystem, das Virus effektiver zu bekämpfen.

Die Klägerin, ein Pharmaunternehmens, beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach der Beklagten solche Werbeankündigungen gegenüber Verbrauchern verboten werden sollen.

 

Entscheidung:

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab. Der OGH befand den dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin für unzulässig.

Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH liegt eine pharmakologische Wirkung (und somit ein Arzneimittel) dann vor, wenn irgendeine Art von unmittelbarer oder mittelbarer Wechselwirkung zwischen den Molekülen des in Frage stehenden Wirkstoffs und einem zellulären Bestandteil des menschlichen Körpers erfolgt (vgl auch diese Entscheidung). Die Eigenschaft eines Arzneimittels kann dadurch begründet werden, dass Moleküle einer Substanz Wechselwirkungen mit einem zellulären Bestandteil des Menschen oder mit anderen im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteilen wie Bakterien, Viren oder Parasiten entfalten. Bei der Beurteilung sind die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellbaren pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften zu berücksichtigen, sowie alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.

Nach welchen (konkreten) Kriterien pharmakologische und nicht-pharmakologische Mittel abgegrenzt werden können ist in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat daher zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln – in einem ebenfalls einen Nasenspray betreffenden Verfahren – an den Gerichtshof der Europäischen Union ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, das derzeit noch anhängig ist.

Im vorliegenden Verfahren erachtete es das Rekursgericht als bescheinigt, dass durch das Nasenspray ein Effekt eintrete, wonach ein länger auf der Nasenschleimhaut verbleibender Schutzfilm gebildet wird, der als physikalische Barriere gegen äußere Einflüsse wirkt und auch eine Schutzbarriere gegen Erkältungsviren bildet. Das Spray umhüllt diese respiratorischen Viren unspezifisch und verhindert damit deren Anhaften an der Schleimhaut. Nach dieser (physikalischen) Bindung bzw. Umhüllung der viralen Partikel werden diese partiell im Magen aufgelöst und dann über den Darm ausgeschieden. Hierdurch kommt es zu einer Reduzierung oder Abwehr der viralen Infektion.

Auf Basis dieses Sachverhalts hat das Rekursgericht das verfahrensgegenständliche Produkt als Medizinprodukt und nicht als Arzneimittel qualifiziert; dies ausgehend von einer (zumindest „hauptsächlich“) physikalischen (und nicht pharmakologischen) Wirkweise. Der OGH schloss sich dem Rekursgericht an, weil die physikalische Wirkung des Produkts im Vordergrund steht. Die Vorrangregel des § 1 Abs 3a AMG kommt daher nicht zur Anwendung.

Irreführung gemäß § 6 Abs 1 AMG liege nicht vor, weil die Beklagte auf vertretbare Weise der Auffassung sein dürfe, dass es sich um gar kein (sei es Funktions-, sei es Präsentations-)Arzneimittel handle.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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