EuGH-Urteil vom 10.6.2021, Rechtssache C-65/20

 

Sachverhalt:

Wie HIER im Blog berichtet, wurde in einer österreichischen Tageszeitung in einer Rubrik für Gesundheitstipps ein Beitrag veröffentlicht, dem zu entnehmen war, dass Rheumaschmerzen durch die Auflage von Kren gelindert werden können. Die Auflage solle zwei bis fünf Stunden auf der betroffenen Körperstelle belassen werden. Diese Angabe war jedoch falsch: Statt zwei bis fünf Stunden hätte es richtig zwei bis fünf Minuten lauten müssen.

Die Klägerin vertraute auf die Richtigkeit der angeführten Behandlungszeit und nahm den Krenverband erst ab, als es bereits zu starken Schmerzen gekommen war. Es war eine toxische Kontaktreaktion eingetreten. Für die erlittene schwere Körperverletzung begehrte sie vor Gericht Schadenersatz von der Beklagten.

Der OGH setzte das Verfahren aus und legte es dem EUGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Entscheidung:

Der EuGH entschied in seinem heutigen Urteil, dass ein Exemplar einer gedruckten Zeitung, die im Zuge der Behandlung eines Themas aus dem Umfeld der Medizin einen unrichtigen Gesundheitstipp zur Verwendung einer Pflanze erteilt, durch dessen Befolgung eine Leserin dieser Zeitung an der Gesundheit geschädigt wurde, kein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie ist.

In der Begründung führte der EuGH aus, dass unter den Begriff „Produkt“ iSd Art. 2 der Richtlinie 85/374 jede bewegliche Sache fällt, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Aus dem Wortlaut dieses Artikels ergibt sich, dass Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen können. Die Haftung kann sich nur auf bewegliche Sachen erstrecken, die industriell hergestellt werden oder bei der Errichtung von Bauwerken verwendet oder in Bauwerke eingebaut werden.

Ein Produkt ist nach Art. 6 der Richtlinie fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. Die fragliche Dienstleistung – d. h. der unrichtige Ratschlag – bezieht sich nicht auf die gedruckte Zeitung. Konkret betrifft diese Dienstleistung weder die Darbietung noch den Gebrauch dieser Zeitung. Folglich gehört diese Dienstleistung nicht zu den der gedruckten Zeitung innewohnenden Faktoren, die als Einzige die Beurteilung ermöglichen, ob dieses Produkt fehlerhaft ist. Die Haftung von Dienstleistern und die Haftung von Herstellern von Endprodukten stellen zwei unterschiedliche Haftungsregelungen dar.

Somit fällt ein unrichtiger Gesundheitstipp, der in einer gedruckten Zeitung veröffentlicht wird und der den Gebrauch einer anderen körperlichen Sache betrifft, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374 und ist nicht geeignet, eine Fehlerhaftigkeit dieser Zeitung zu begründen und nach der genannten Richtlinie die verschuldensunabhängige Haftung des „Herstellers“ auszulösen, ungeachtet dessen, ob es sich bei diesem um den Zeitungsverleger oder deren Druckerei oder um den Autor des Artikels handelt.

 

Link zum Entscheidungstext

 

Blog-Beiträge zum Thema Produkthaftung:

EuGH soll entscheiden: Haftet Medieninhaber für falsche Gesundheitstipps in Zeitungsartikel? (Produkthaftung)

Produkthaftungsrecht: Glastür eines Ofens zerspringt mangels Wartung. Hersteller haftet aufgrund fehlender Instruktion.

Benutzerinformation außer Acht gelassen – Produkthaftung?

EuGH zur Produkthaftung bei potenziellen Fehlern: Hersteller haftet für Austauschkosten bei möglicherweise fehlerhaften Herzschrittmachern

EuGH: In Produkthaftungsfällen ist der „Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses“ der Herstellungsort (internationale Zuständigkeit)