OGH-Entscheidung vom 25.1.2024, 4 Ob 5/24z

 

Sachverhalt:

Die Antragstellerin betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien.

Die Antragsgegnerin verfügt über Gewerbeberechtigungen für das Sicherheitsgewerbe und für Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik. Sie bietet im geschäftlichen Verkehr Abmahnungen bei Besitzstörungen an. Der Kunde kann eine Besitzstörungshandlung (unter Beifügung von Beweisfotos) online melden und die Antragsgegnerin beauftragen. Die Beklagte ermittelt dann die Halterdaten und übermittelt dem Falschparker eine Unterlassungserklärung, in der er sich zur Abwendung einer Klage zur Unterlassung und Zahlung einer Pauschale von 399 EUR („Pauschalbetrag zum Klagsverzicht wegen Besitzstörung“) verpflichtet, wobei der Kunde 50 % der Pauschale als „Provision“ erhält.

Nach den AGB der Antragsgegnerin beauftragt der Kunde mit der Meldung der Störungshandlung gleichzeitig die Antragsgegnerin mit der kostenlosen Bewachung seines Besitzes und räumt ihr „Mitbesitz an der gestörten Liegenschaft“ ein. Für den Fall, dass der Störer die Abgabe der Unterlassungserklärung und/oder die Zahlung verweigert, bringt die Antragsgegnerin nach eigenem Ermessen und auf eigenes Kostenrisiko eine Klage durch einen österreichischen Partneranwalt ein.

Die Antragstellerin beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Die Antragsgegnerin verhalte sich unlauter iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG („Vorsprung durch Rechtsbruch“). Die Antragsgegnerin betreibe gewerbsmäßig ein außergerichtliches Abmahnwesen bei Besitzstörungen und übe damit im geschäftlichen Verkehr eine Tätigkeit aus, die gemäß § 8 RAO Rechtsanwälten vorbehalten sei.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen den Sicherungsantrag ab. Der OGH befand den dagegen gerichteten Revisionsrekurs der Antragstellerin für zulässig und berechtigt.

Das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts umfasst die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten (§ 8 Abs 1 RAO). Die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung ist den Rechtsanwälten vorbehalten (§ 8 Abs 2 RAO). Der Begriff der „Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten“ umfasst nicht bloß die Vertretung vor Behörden und Gerichten, sondern ua auch die Vertretung eines Klienten in Rechtsangelegenheiten gegenüber Dritten im Zuge einer vor- und/oder nachprozessualen Korrespondenz (wie der OGH kürzlich zu einem ähnlichen Sachverhalt festhielt – siehe HIER im Blog).

Ein Eingriff in die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung nach § 8 Abs 2 RAO liegt damit nicht nur bei prozessualen Vertretungshandlungen für andere in einem konkreten Verfahren. Vielmehr genügt es, dass einzelne oder auch nur eine einzige Tätigkeit aus dem Gesamtspektrum der den Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeiten gewerbsmäßig ausgeübt wird.

Durch das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin werden Personen, deren Besitz durch Handlungen Dritter gestört wurden, unterstützt. Durch eine Unterlassungserklärung und den von den Störern mit einer Zahlung abzulösenden „Verzicht auf die Klagsführung“ will die Antragsgegnerin ihre Kunden vor weiteren Besitzstörungshandlungen schützen. Den Kunden wird empfohlen, nicht selbst zu klagen, sondern die Antragsgegnerin zu beauftragen. Das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin zielt damit zentral darauf ab, die Interessen des besitzenden Kunden gegenüber dem Besitzstörer zu vertreten und die sich daraus ergebenden zivilrechtlichen Ansprüche des Kunden außerprozessual durchzusetzen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Antragsgegnerin nicht im Namen der Kunden auftritt. Abgesehen von der evidenten sachenrechtlichen Unwirksamkeit der Einräumung eines Mit- bzw Rechtsbesitzes an die Antragsgegnerin als Bewacherin der Liegenschaft, dient die Konstruktion des Geschäftsmodells primär (nur) dazu, um nach außen zu verschleiern, dass die Interessen der von der Antragsgegnerin betreuten Kunden durchgesetzt werden sollen.

Die Antragsgegnerin bietet eine traditionellerweise von Rechtsanwälten ausgeübte Tätigkeit an. Würde man eine solche „verdeckte Parteienvertretung“ vom Vorbehalt ausnehmen, würde dies gegen die ratio legis des § 8 RAO sprechen. Diese Norm will im Hinblick auf das strenge rechtsanwaltliche Standes- und Disziplinarrecht ua auch die rechtsuchende Bevölkerung bei der Rechtsdurchsetzung schützen.

Der OGH verneinte daher die lauterkeitsrechtliche Vertretbarkeit des Rechtsbruchs der Antragsgegnerin. Die Rechtsdurchsetzung im Fall von Besitzstörungen gehört zu den typisch von Rechtsanwälten ausgeübten Tätigkeiten. Der OGH erließ folglich die beantragte einstweilige Verfügung.

 

Link zur Entscheidung

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema unlauterer Rechtsbruch:

Inkassoinstitute dürfen keine Einigungen für strittige Forderungen verhandeln (Verstoß gegen Anwaltsvorbehalt=unlauterer Rechtsbruch)

Legal-Tech-Anbieter darf zwar den Begriff „law“ im Namen führen, aber keine Umsatzbeteiligung am Honorar vermittelter Rechtsanwälte verlangen.

Wortlaut des „Wiener Taxitarifs“ nicht eindeutig. Verzicht auf Zuschläge ist kein unlauterer Rechtsbruch.

Pensionierter Rechtsanwalt vertritt weiterhin unter der Bezeichnung „Rechtsanwalt em“: Unlauterer Rechtsbruch (Verstoß gegen Rechtsanwaltsordnung)

Supermarkt verkauft im Covid19-Lockdown Non-Food-Artikel. Unlauterer Rechtsbruch?

Bei Produkten mit CE-Kennzeichnung darf von Einhaltung der relevanten normativen Anforderungen ausgegangen werden – Kein unlauterer Rechtsbruch

Unlautere Geschäftspraktik: UBER fördert durch Bereitstellung der UBER-App Rechtsbruch seiner Fahrer

Unlauterer Rechtsbruch: Einkaufszentrum überschreitet zulässige Verkaufsfläche

Langlaufunterricht ohne Schischulbewilligung ist unlautere Geschäftspraktik (Rechtsbruch)

Verletzung der Informationspflichten gem § 5 ECG ist unlauterer Rechtsbruch iSd UWG; unterbliebene Meldung bei der Datenschutzbehörde nicht

Bewilligungslose Werbung auf öffentlichen Verkehrsflächen – unlauterer Rechtsbruch iSd UWG? / Neufassung des Unterlassungsgebots / Behauptungslast

Verletzung von Offenlegungspflicht einer Kapitalgesellschaft ist unlauterer Rechtsbruch iSd UWG