OGH-Entscheidung vom 20.12.2022, 4 Ob 123/22z

 

Sachverhalt:

Klägerin und Erstbeklagte sind Taxiunternehmer. Die Zweitbeklagte vermittelt über eine App Fahrten an die Erstbeklagte. Die Fahrpreise werden von der Zweitbeklagten vorgegeben und beim Fahrgast eingehoben. Bei der Verrechnung wird mitunter von Zuschlägen nach § 5 Wiener Taxitarif abgesehen.

Die Klägerin klagte auf Unterlassung und beantragte die die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Den Beklagten solle es verboten werden, den Mindestpreis gemäß dem Wiener Taxitarif zu unterschreiten. Bei von der Klägerin veranlassten Überprüfungsfahrten sei der nach dem Wiener Taxitarif errechnete Preis einer Vergleichsfahrt um mehr als 20 % unterschritten worden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das Rekursgericht erließ jedoch die beantragte einstweilige Verfügung. Der Wortlaut von § 5 der VO des Wiener Taxitarifs sei zwar nicht eindeutig, aber es sei dennoch davon auszugehen, dass die darin genannten Zuschläge verbindlich seien. Der OGH befand den dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Beklagten für ist zulässig und berechtigt.

In Wien werden per Verordnung verbindliche Tarife sowie Mindest- und Höchstentgelte für im Wege eines Kommunikationsdienstes bestellte Fahrten mit Pkw-Taxi festgelegt (Wiener Taxitarif). Danach setzt sich der Tarif für eine Fahrt aus einem Grundbetrag, einem Wegstreckentarif, einem Zeittarif sowie aus allfälligen Zuschlägen (§ 5) zusammen. Gemäß § 5 der VO „dürfen“ Zuschläge (iHv EUR 2) ausschließlich für folgende Leistungen verrechnet werden: 1. Bestellung eines Fahrzeuges im Weg eines Kommunikationsdienstes; 2. Beförderung von mehr als vier Fahrgästen […]. Gemäß § 8 (1) der VO darf der Fahrpreis für eine im Weg eines Kommunikationsdienstes bestellte Fahrt den verbindlichen Tarif einer Vergleichsfahrt um maximal um 20 % unter- oder überschreiten.

Ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm ist (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung im Sinne von § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Maßgebend für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden.

Der OGH prüfte zunächst, ob ein klarer Gesetzeswortlaut vorliegt. Im Ergebnis erachtete er den Wortlaut des § 5 für nicht eindeutig. Aus der Formulierung, wonach Zuschläge verrechnet werden „dürfen“, könne nur schwer eine Verpflichtung der Verrechnung abgeleitet werden; und auch die Erläuterungen zur VO, wo von „allfälligen“ Zuschlägen die Rede ist, würden nichts Entscheidendes zur Klarstellung einer Verbindlichkeit der Zuschläge aussagen.

Der Rechtsbruchtatbestands des § 1 Abs 1 Z 1 UWG war daher nicht erfüllt. Es sprechen gute Gründe für die Annahme der Nichtverbindlichkeit der Zuschläge. Auch aus der Systematik der Verordnung ergibt sich, dass bestimmte Tarife zwingend zu verrechnen sind („ist“), nicht aber die Zuschläge („dürfen“). Es sprechen daher gute Gründe dafür, dass die genannte Norm von einem freien Ermessen des Taxiunternehmers bei der Verrechnung von Zuschlägen ausgeht.

Der beanstandete Rechtsbruch lag daher nicht vor.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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