OGH-Entscheidung vom 16.12.2021, 4 Ob 49/21s

 

Sachverhalt:

Die Kläger wurden Opfer eines Diebstahls in ihrer Privatwohnung. Aus ihrem Safe wurden mehr als EUR 60.000 gestohlen. Für die Kläger war beim Ankauf des Safes wichtig, dass er die Sicherheitsklasse EN-1 laut den Bedingungen ihrer Versicherung erfüllte. Auf der Website des Herstellers sei der (später im Fachhandel angekaufte) Safe so beschrieben worden, dass er die Sicherheitsstufe EN-1 nach CSN EN 1 1143-1 erfülle. Auch die Verpackung wies die Information auf, dass der Safe auf EN-1 geprüft sei. Die Deckung des Schadens wurde von der Haushaltsversicherung aber mit der Begründung abgelehnt, der Safe entspreche nicht der Sicherheitsklasse EN-1. Die Kläger hatten daraufhin ihre Haushaltsversicherung geklagt. Der im Gerichtsverfahren bestellte Sachverständige kam jedoch zum Ergebnis, dass die Plakette, die die Sicherheitsstufe EN-1 ausweise, zu Unrecht auf dem Safe angebracht worden sei. Die Klage wurde daher abgewiesen.

Die Kläger klagten schließlich den Hersteller des Safes, da die Bezeichnung der Sicherheitsstufe nicht korrekt und daher irreführend erfolgt sei. Da ihr Vertragspartner (Verkäufer des Tresors) nicht mehr existiere, seien den Klägern vertragliche Ansprüche verwehrt.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab, weil es einen auf § 2 UWG iVm § 1 Abs 1 UWG gestützten Schadenersatzanspruch des Verbrauchers verneinte. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, erklärte die ordentliche Revision jedoch für zulässig. Der OGH befand die Revision der Kläger für zulässig und berechtigt:

Der OGH hatte bis zu diesem Fall erst ein einziges Mal (im Jahr 1998) die aktive Klagelegitimation eines Verbrauchers bejaht, der infolge einer wettbewerbswidrigen Handlung einen Vermögensschaden erlitten hat. Die damalige dortige Beklagte hatte den irreführenden Eindruck erweckt, eine Person habe bei einem Gewinnspiel den Hauptpreis gewonnen, und deren Irrtum nicht rechtzeitig aufgeklärt. Bei Schadenersatzverpflichtungen aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (culpa in contrahendo) ist der Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) zu ersetzen. Auch ein Verbraucher, der das Opfer unlauteren Wettbewerbs geworden ist, kann daher Schadenersatzansprüche nach dem UWG gegen den unlauteren Wettbewerber geltend machen. Das UWG bezweckt auch den Schutz des einzelnen Verbrauchers vor rechtswidrigem Wettbewerb; damit sei es nur konsequent, ihm als Opfer unlauteren Wettbewerbs auch Individualansprüche nach diesem Gesetz einzuräumen.

In seiner Begründung verwies der OGH auch auf das Kartellrecht. Die Tatbestände des Kartellrechts und des Lauterkeitsrechts verfolgen einen einheitlichen Schutzzweck (Schutzzwecktrias). Der Schutz erfasst in beiden Fällen Mitbewerber, Verbraucher und andere Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite sowie die Allgemeinheit. Im Kartellrecht war es die Rechtsprechung des EuGH, die jedem Geschädigten die Aktivlegitimation für Schadenersatzansprüche zuerkannt hat. Der österreichische Gesetzgeber führte deshalb § 37a in das KartG ein, um das „Private Enforcement“ nach Wettbewerbsverstößen zu stärken. Der enge Zusammenhang beider Rechtsgebiete und der Effektivitätsgrundsatz verlangen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Bereich der Sanktionen einen Gleichklang.

Der Umstand, dass § 14 UWG dem Verbraucher keinen individuellen Unterlassungsanspruch einräumt, spielt daher für die Frage der Aktivlegitimation des Verbrauchers für Schadenersatzklagen keine Rolle. Auch in den Materialien zur UWG-Novelle 2007 wird ausgeführt, dass § 1 Abs 1 Z 2 UWG ausdrücklich den individuellen Verbraucher schützen will. § 1 UWG ist als Sondernorm zu werten, vergleichbar etwa mit jener des § 22 Abs 1 KMG, welche im Rahmen der Prospekthaftung ebenfalls vertragsunabhängige Ansprüche von Verbrauchern (Anlegern) gegen ua Emittenten wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben zuerkennt.

Das Auslegungsergebnis des OGH wird in seiner Grundwertung auch vom RL-Gesetzgeber geteilt: Die „Omnibus-Richtlinie“ 2019/2161, durch die auch die Verbraucherrechte-Richtlinie erweitert wird, sieht in ihrem Art 11a Abs 1 vor, dass durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigte Verbraucher Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen „einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens“ haben müssen.

Zusammenfassend hielt der OGH fest, dass die Kläger legitimiert sind, den von ihnen verfolgten Anspruch auf Ersatz eines Vermögensschadens, der ihnen als Verbraucher infolge einer unlauteren Geschäftspraktik eines Unternehmers (Irreführung) entstanden sein soll, gerichtlich geltend zu machen. Die Haftung der Beklagten für Personen im Betrieb ihres Unternehmens ist dabei nicht auf ihre Repräsentanten beschränkt, sondern richtet sich nach § 18 UWG.

Der OGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

 

 

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