OGH-Entscheidung vom 22.10.2013, 4 Ob 129/13v

Sachverhalt:

Die Parteien stehen im Wettbewerb auf dem Markt für Tageszeitungen. Die Beklagte warb im April 2012 in ihrer Zeitung für eine von ihr zusammengestellte, im Handel erhältliche „Edition“ von Tonträgern mit musikalischen Inhalten. Dazu druckte sie einen Gutschein ab, mit dem ein Tonträger dieser Edition bei einer bestimmten Handelskette um 4,99 EUR statt um 7,99 EUR erworben werden konnte. Die Zeitung der Beklagten kostete im Einzelverkauf einen Euro.

Ein Mitbewerber sah darin eine unlautere Geschäftspraktik und klagte u.a. auf Unterlassung. Durch diese Praktik entstehe ein „übersteigerter Kaufanreiz“. Es sei denkbar, dass Kunden die Zeitung allein deshalb kauften (und allenfalls ungelesen entsorgten), um in den Genuss des Gutscheins zu kommen.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Unterlassungsbegehren (wenn auch umformuliert, da das Unterlassungsbegehren der Klägerin zu weit gefasst war) statt. Ein Vorspannangebot sei nach der Rechtsprechung dann unzulässig, wenn der dadurch hervorgerufene Kaufanreiz geeignet sei, Verbraucher ohne sachliche Begründung zum Kauf der Hauptware zu bewegen. Dies gelte insbesondere für kopflastige Vorspannangebote, bei denen der Vorspannartikel höherwertig sei als die Hauptware und bei denen die relative Preisersparnis dazu führe, dass der Käufer die Hauptware (nahezu) umsonst erhalte.

Der OGH lies die Revision der Beklagten zu und nahm diesen Fall zum Anlass, seine Rechtsprechung zu Vorspannangeboten zu ändern. Nach Inkrafttreten der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und Aufhebung des Zugabenverbots bedürfe dieser einer Überprüfung.

Aus der Begründung:

Der vom Kauf einer Hauptware abhängige entgeltliche Erwerb einer Nebenware war nach früherer Rechtsprechung sittenwidrig, wenn die Koppelung von Haupt- und preisgünstiger Nebenware beim Verbraucher zum vollständigen Ausschluss sachlicher Erwägungen führen konnte. Das Vorspannangebot musste daher geeignet sein, Verbraucher ohne jede sachliche Prüfung, sondern allein wegen der Möglichkeit, die Vorspannware zu einem Bruchteil des üblichen Preises zu erwerben, zum Kauf einer Hauptware zu verleiten, die sie sonst nicht gekauft hätten. Ein solcher „übersteigerter“ Anlockeffekt lag nach der jüngeren Rechtsprechung nicht vor, wenn der Gesamtpreis beider Waren nicht oder nur geringfügig geringer war als der handelsübliche Preis der Nebenware.
Sittenwidrigkeit war anzunehmen, wenn die Ersparnis bei der Nebenware deutlich höher war als der Preis der Hauptware.

Nach Inkrafttreten der UWG-Novelle 2007 nahm der Senat an, dass nach dem (zunächst durch Auslegung begründeten) Wegfall des allgemeinen Zugabenverbots ein – „wenngleich günstiges“ – Koppelungsangebot grundsätzlich ebenfalls zulässig sein müsse. Auch in weiteren Entscheidungen nahm der Senat an, dass ein „übermäßiger Kaufanreiz“ zur Unzulässigkeit eines Koppelungsangebots führen könne und auch eine aggressive Geschäftspraktik vorliegen könne, wenn eine Zugabe aufgrund ihres (tatsächlichen oder angenommenen) Wertes einen so hohen Anlockeffekt ausübte, dass sie auch für einen sonst aufmerksamen und kritischen Verbraucher – unter Ausschaltung rationaler Erwägungen – zum alleinigen Grund für den Erwerb der Hauptware würde
Diese Rechtsprechung zeige, dass Zugaben und Vorspannangebote grundsätzlich gleich zu behandeln sind: In beiden Fällen versucht der Unternehmer, den Absatz einer Ware dadurch zu fördern, dass er eine andere Ware billiger oder unentgeltlich überlässt. Geworben wird also nicht mit den Eigenschaften der Hauptware (Preis, Qualität), sondern mit einem Vorteil, der mit der Hauptware sachlich (meist) nichts zu tun hat, aber den Kunden dennoch zum Kauf veranlassen soll.

Diese – allein mit Wertrelationen begründete – Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Vorspannangebote konnte der OGH im vorliegenden Fall allerdings nicht aufrecht erhalten.
Denkbar wäre, dass ein Unternehmen bei einer verkaufsfördernden Maßnahme Preise verschleiert oder die Verbraucher auf andere Weise in die Irre führt. So könnte etwa der vom Unternehmen angegebene Normalpreis der Nebenware gegenüber vergleichbaren Angeboten überteuert sein, weswegen die behauptete Ersparnis in Wahrheit gar nicht oder nicht im angekündigten Ausmaß besteht. Dann läge aber ohnehin eine irreführende Geschäftspraktik vor.
Aggressivität – also „Belästigung, Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder […] unzulässige Beeinflussung“ (Art 8 RL-UGP, § 1a Abs 1 UWG) – ist bei einem Vorspannangebot nicht anzunehmen, wenn nicht weitere Umstände vorliegen, die über die bloße Wertrelation hinausgehen. Belästigung oder Nötigung scheiden bei einem „nur“ überaus günstigen Vorspannangebot jedenfalls aus. Auch „psychischer Kaufzwang“ wäre relevant, der etwa vorläge, wenn der Kunde durch die Vergünstigung in eine psychische Zwangslage geriete, in der er es als unanständig oder jedenfalls peinlich empfände, nichts zu kaufen. Das Angebot, eine Nebenware mit einer über dem Preis der Hauptware liegenden Gesamtersparnis erwerben zu können, kann für sich allein aber keinesfalls als Ausnutzen einer gegenüber dem Verbraucher bestehenden Machtposition angesehen werden.

Auch der deutsche BGH hat in seiner neueren Rechtsprechung ausgesprochen, dass ein Koppelungsangebot unzulässig ist, wenn über dessen tatsächlichen Wert getäuscht wird oder unzureichende Informationen gegeben werden, also eine irreführende Geschäftspraktik vorliegt. Unlauterkeit soll zudem auch dann anzunehmen sein, wenn die Anlockwirkung so groß ist, dass bei einem verständigen Verbraucher ausnahmsweise die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund tritt.
Der BGH bezog das Rationalitätskriterium auf das Gesamtangebot, nicht auf die isoliert betrachtete Hauptware. Im Wahrnehmen eines Preisvorteils durch eine wertvolle Zugabe liege auch dann ein sachgerechtes Kaufverhalten, wenn der Verbraucher die Kaufentscheidung nur wegen der wertvollen Nebenware treffe. Ein solches Angebot appelliere im Gegenteil an den sachlich kalkulierenden Verbraucher. Dieser werde bei rationaler Abwägung ohne weiteres und zutreffend erkennen, dass ihm ein – gemeint: insgesamt – günstiges Angebot gemacht werde.

Zusammengefasst schloss sich der OGH dieser Auffassung an. Eine den Preis der Hauptware übersteigende Ersparnis bei einer Nebenware ist ohne Hinzutreten besonderer Umstände (Irreführung, Drucksituation etc) nicht geeignet, die „Rationalität“ des Verbraucherverhaltens auszuschließen. Hat der Verbraucher in einem solchen Fall Interesse an der Nebenware, ist es vielmehr aus seiner Sicht sachgerecht, die Hauptware auch dann zu erwerben, wenn er daran (isoliert betrachtet) keinen Bedarf hat. Verbraucherschutzerwägungen können die Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Vorspannangeboten oder hochwertigen Zugaben daher nicht tragen.

Der Umstand, dass bei einem Vorspannangebot die Ersparnis bei der Nebenware höher ist als der Preis der Hauptware, begründet für sich allein nicht die Unlauterkeit dieser verkaufsfördernden Maßnahme.