OLG Wien-Entscheidung vom 10.06.2025, 15 R 74/25z
Sachverhalt:
Der klagende Polizist war im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen COVID-19-Maßnahmen im Einsatz. Ein Dritter veröffentlichte auf Facebook ein Foto des Klägers mit einem Text, der ihm fälschlicherweise vorwarf, gewaltsam gegen einen 82-jährigen friedlichen Demonstranten vorgegangen zu sein. Der Beklagte teilte dieses Posting am darauffolgenden Tag auf seinem privaten, aber öffentlich zugänglichen Facebook-Profil, ohne den Wahrheitsgehalt zu überprüfen oder die Zustimmung des Klägers zur Veröffentlichung seines Bildes einzuholen. Das Posting enthielt die Aufforderung, das Gesicht des Polizisten um die Welt gehen zu lassen, und wurde von über 2200 Facebook-Nutzern geteilt, was zu zahlreichen beleidigenden Kommentaren führte.
Der Kläger machte geltend, durch diesen Shitstorm sei ihm ein erheblicher immaterieller Schaden entstanden, insbesondere durch die Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und durch Datenschutzverstöße. Er bezifferte seinen Gesamtschaden auf mehrere Millionen Euro und forderte vom Beklagten die Zahlung von EUR 2.800. Der Kläger führte aus, er habe bereits zahlreiche Verfahren gegen andere Shitstorm-Teilnehmer angestrengt, könne aber aufgrund der Anonymität vieler Nutzer und deren Zahlungsunfähigkeit seine Forderungen nicht vollständig realisieren.
Der Beklagte wendete ein, dass dem Kläger nur ein einziger Gesamtschaden entstanden sei, für den alle Shitstorm-Teilnehmer solidarisch haften würden. Er brachte vor, der Kläger habe bereits mindestens EUR 150.000 an Entschädigungszahlungen von anderen Solidarschuldnern erhalten, womit sein Gesamtschaden bereits abgegolten sei. Zudem argumentierte der Beklagte, der Kläger sei als erfahrener Polizist mit psychischen und physischen Belastungen vertraut und könne daher besser mit der Situation umgehen als andere Betroffene.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte fest, dass der Kläger aufgrund des Shitstorms zumindest EUR 80.000 an medienrechtlichen Entschädigungen und weitere EUR 80.000 an sonstigen immateriellen Schadenersatzansprüchen zugesprochen bekommen habe. Tatsächlich erhalten habe er jedenfalls EUR 80.000. Das Erstgericht kam unter Anwendung des § 273 ZPO zum Ergebnis, dass der Kläger den Ausgleich für seine Ansprüche bereits erhalten habe.
Der Kläger erhob Berufung und kritisierte insbesondere, dass das Erstgericht von einem Zuspruch von mindestens EUR 160.000 Euro ausging, gleichzeitig aber feststellte, er habe nur EUR 80.000 tatsächlich erhalten. Diese Diskrepanz sei nicht nachvollziehbar begründet worden.
Das Oberlandesgericht Wien wies die Berufung ab und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Die Erstrichterin habe nachvollziehbar dargelegt, wie sie aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel zu ihren Feststellungen gelangt sei. Sie habe dabei hunderte vom Kläger angestrengte Gerichtsverfahren berücksichtigt sowie die Tatsache, dass viele Ansprüche außergerichtlich erledigt wurden. Zudem habe sie das Risiko der Einbringlichkeit einbezogen, indem sie zwischen der Höhe der gerichtlichen Zusprüche und der Höhe der tatsächlich erhaltenen Beträge differenzierte. Das Berufungsgericht betonte auch, dass der Kläger die Zahlungen auch nicht substantiiert bestritten oder dem etwas entgegengesetzt habe.
Das Berufungsgericht wies die Kritik an der Verwertung von Zeitungsartikeln zurück. Die inhaltliche Richtigkeit von Zeitungsartikeln als Privaturkunden unterliege der freien Beweiswürdigung. Aus den vorgelegten Zeitungsartikeln ergebe sich, dass mehr als 300 Poster bereits angezeigt worden seien und der Kläger rund 1000 User geklagt habe. Wenn die Erstrichterin von hunderten Gerichtsverfahren ausgehe, sei dies durch die Beweismittel gedeckt.
In rechtlicher Hinsicht stellte das Berufungsgericht klar, dass sämtliche Ansprüche aus Mediengesetz, Urheberrechtsgesetz und Datenschutzrecht denselben immateriellen Schaden betreffen. Mehrfachersatz sei ausgeschlossen. Der Kläger könne nicht für dieselbe Kränkung wiederholt Ersatz verlangen. Maßgeblich sei die Entscheidung des OGH (siehe HIER im Blog), wonach bei einem Shitstorm eine Solidarhaftung sämtlicher Beteiligter bestehe und eine Anrechnung bereits erhaltener Zahlungen zwingend vorzunehmen sei.
Da die vom Kläger erlittene Beeinträchtigung (negative öffentliche Wahrnehmung und persönliche Kränkung) im unteren Schwerebereich liege und durch die bisherigen Zahlungen abgegolten sei, bestehe kein weiterer Ersatzanspruch.
Weitere Blog-Beiträge zum Thema immaterieller Schadenersatz:
DSGVO-Schadenersatz für Schulwart, der irrtümlich in Lehrerbewertungs-App aufgenommen wurde.