OLG Wien-Entscheidung vom 27.5.2025, 3 R 38/25t

 

Sachverhalt:

Die beklagte Mediengesellschaft, Inhaberin zweier auflagenstarker Tageszeitungen, veröffentlichte am 20. Oktober 2021 einen Artikel mit Foto der Klägerin, in dem diese in den Kontext angeblicher „Me-too-Prozesse“ gestellt wurde.

Der Artikel suggerierte, dass die Klägerin gemeinsam mit einer weiteren Frau dem Herausgeber der konkurrierenden Zeitung der Beklagten überraschend gleichlautend vorwerfe, sie am Po berührt zu haben. Hinter diesen Vorwürfen stehe in Wahrheit eine Konkurrenz-Kampagne, die darauf abziele, den Ruf des Herausgebers zu schädigen. Der Artikel erweckte den Eindruck, die Vorwürfe der sexuellen Belästigung seien erfunden und Teil einer orchestrierten Medienkampagne. Der Artikel behauptete auch, dass das konkurrierende Medienunternehmen die Prozesse und Anwälte der Klägerin finanzieren würde.

Die Klägerin, die tatsächlich von dem betreffenden Herausgeber während ihres Beschäftigungsverhältnisses mehrfach sexuell belästigt worden war, sah sich durch diese Darstellung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Sie begehrte auf Basis der §§ 78, 87 UrhG Schadenersatz in Höhe von 10.000 Euro, da der Artikel ihr unterstelle, die Anschuldigungen erfunden zu haben und damit ehrenbeleidigend sowie kreditschädigend sei.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nur zur Hälfte statt und sprach 5.000 Euro zu. Es begründete die Reduktion damit, dass bereits zahlreiche ähnliche Artikel veröffentlicht worden seien und die Klägerin fast bis zum Ablauf der Verjährungsfrist mit der Klageerhebung zugewartet habe, was gegen eine schwerwiegende Kränkung spreche.

Das OLG Wien gab der Berufung der Klägerin vollinhaltlich statt und sprach den begehrten Betrag von 10.000 Euro zu.

Das Berufungsgericht stellte zunächst klar, dass die Beurteilung, ob durch einen Begleittext zu einem Lichtbild berechtigte Interessen des Abgebildeten im Sinne des § 78 Abs 1 UrhG verletzt werden, eine Rechtsfrage darstellt. Entscheidend sei der maßgebliche Gesamteindruck eines durchschnittlichen Lesers. Der unrichtige Vorwurf, jemand lüge oder behaupte wider besseres Wissen die Unwahrheit, begründet eine Verletzung berechtigter Interessen. Dieser Vorwurf gehe wegen der subjektiven Komponente weit über die Behauptung hinaus, jemand verbreite bloß objektiv unrichtige Fakten. Der Klägerin wurde nicht nur vorgeworfen, den Herausgeber zu Unrecht zu beschuldigen, sondern dies bewusst und vorsätzlich zu tun.

Der Ersatz immateriellen Schadens nach § 87 Abs 2 UrhG gebührt nur bei einer empfindlichen Kränkung. Maßgebend sei nicht allein das subjektive Empfinden des Verletzten, sondern ob und in welchem Ausmaß seine Persönlichkeit in objektivierbarer Weise beeinträchtigt wird. Das OLG Wien hielt fest, dass die Anschuldigung, im Rahmen einer „Kampagne“ würden aus niederen Motiven bewusst unwahre Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben, eine derart qualifizierte Verletzung berechtigter Interessen verwirklicht, dass ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gegeben ist.

Entscheidend war auch, dass die Klägerin der Taktik des „Victim Blaming“ ausgesetzt wurde. Dabei werde auf Vorwürfe systematisch damit reagiert, den Urheber der Vorwürfe, der sich als Opfer fühlt, in die Rolle eines Täters zu versetzen, um sich selbst als das „wahre Opfer“ darzustellen. Dieses Verhalten sei besonders verwerflich und führe zu einer speziellen erheblichen Kränkung.

Bei der Bemessung der Schadenersatzhöhe berücksichtigte das Berufungsgericht, dass die Klägerin im besonders sensiblen Bereich der sexuellen Belästigung im Arbeitsumfeld bezichtigt wurde, einen ehemaligen Vorgesetzten zu Unrecht beschuldigt zu haben. Der Vorwurf einer derartigen Vorgangsweise sei geeignet, die Klägerin massiv zu kränken und ihren Ruf stark zu beeinträchtigen. Erschwerend kam hinzu, dass die Veröffentlichung in zwei auflagenstarken Tageszeitungen erfolgte, wodurch die Bloßstellung mit großer Öffentlichkeitswirkung und ganz offensichtlich im Interesse der Person erfolgte, die die Klägerin sexuell belästigt haben soll.

Das Erstgericht hatte den Schadenersatz mit der Begründung reduziert, dass bereits zahlreiche ähnliche Artikel veröffentlicht worden seien und die Klägerin fast bis zum Ablauf der Verjährungsfrist mit der Klageerhebung zugewartet habe. Das Berufungsgericht wies diese Argumentation zurück und stellte klar, dass dem durch eine Missachtung des Bildnisschutzes Verletzten nicht schon deshalb unterstellt werden könne, er habe keine besonders schwere Beeinträchtigung erlitten, weil er sich mit der Klage Zeit lasse. Es bestehe keine Rechtspflicht, innerhalb der Verjährungsfrist besonders rasch aktiv zu werden. Das Berufungsgericht hielt die begehrte Entschädigung von 10.000 Euro für angemessen.

 

 

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