OGH-Entscheidung vom 25.6.2024, 4 Ob 111/24p
OLG Wien-Entscheidung vom 29.8.2024, 33 R 10/23t
Sachverhalt:
Die Antragstellerinnen beantragten bei der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamts die Nichtigerklärung eines Patents. Die Nichtigkeitsabteilung gab dem Antrag teilweise statt und hielt das Patent nur in eingeschränktem Umfang aufrecht. Das Berufungsgericht (OLG Wien) bestätigte diese Entscheidung. Gegen diese Urteile des Berufungsgerichts kann grundsätzlich binnen zwei Monaten Revision erhoben werden. Eine Antragstellerin und die Antragsgegnerin taten das und brachten gegen diese Entscheidung außerordentliche Revisionen ein – jedoch verspätet.
Denn in einem parallel geführten Eingriffsverfahren vor dem Handelsgericht Wien hatte die Antragsgegnerin auf Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Zahlung und Veröffentlichung wegen Verletzung ihres Patents geklagt. Das Handelsgericht unterbrach das Verfahren mit Beschluss nach § 156 Abs 3 PatG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens über den Antrag auf Nichtigerklärung, weil es nach der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung die Nichtigerklärung des Patents für wahrscheinlich hielt.
Wird in einem Nichtigerklärungsverfahren jedoch ein Unterbrechungsbeschluss nach § 156 PatG vorgelegt, so gelten für das Verfahren ab der Vorlage einige Besonderheiten. Unter anderem beträgt die Frist für die Revision nach § 157 Abs 1 Z 5 PatG nur einen Monat.
Das Berufungsurteil im Nichtigerklärungsverfahren wurde den Vertretern aller Verfahrensparteien am 8. 4. 2024 zugestellt. Die Erstantragstellerin und die Antragsgegnerin gingen von einer zweimonatigen Frist aus und brachten ihre Revisionen erst am 4. 6. 2024 ein – somit nach Ablauf der einmonatigen Frist gemäß § 157 Abs 1 Z 5 PatG. (Auch das Berufungsgericht ließ sich von der Annahme einer zweimonatigen Frist leiten, als es den Akt dem OGH vorgelegte.)
Entscheidung des OGH:
Der OGH wies die Revisionen als verspätet zurück.
Die Streitteile beantragten als Reaktion auf die Entscheidung des OGH die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Entscheidung des OLG Wien:
Da die Revisionsschriften beim OLG Wien als Berufungsgericht einzubringen waren, war dieses auch für die Entscheidung über die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuständig (§ 148 Abs 1 ZPO). Das OLG Wien befand die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis als nicht berechtigt.
Beide Streitteile machten geltend, dass ein Rechtsirrtum zur Fristversäumung geführt habe, der auf einem minderen Grad des Versehens beruhe. Irrtümlich seien sie davon ausgegangen, die Frist für die außerordentlichen Revisionen hätte der allgemeinen gesetzlichen Regelung entsprochen, wonach sie im Nichtigkeitsverfahren zwei Monate beträgt.
Als „Ereignis“, das zur Wiedereinsetzung berechtigt, sind auch Irrtümer, das Übersehen von Ereignissen und das Vergessen von stattgefundenen Ereignissen anzusehen, also zum Beispiel „Erinnerungsfehler“ sowie die irrtümliche Missachtung von Aktenbestandteilen. Im konkreten Fall kam es ausschließlich darauf an, ob der den Streitteilen und ihren Vertretern unterlaufene Fehler auf einem „minderen Grad des Versehens“ beruhte, oder ob der Grad des Versehens darüber hinausgeht (grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz).
Zutreffend wiesen die Streitteile darauf hin, dass nicht nur ihnen und ihren Vertretern (nämlich zwei Patentanwaltskanzleien und zwei Anwaltskanzleien), sondern auch dem Berufungsgericht bei der Vorlage des Aktes an den OGH derselbe Fehler unterlaufen ist, nämlich den Umstand unbeachtet zu lassen, dass die Nebenintervenientin den Beschluss zum Akt gegeben hat, mit dem ein Eingriffsverfahren vor dem Handelsgerichts Wien nach § 156 PatG unterbrochen worden ist.
Das OLG Wien kam dennoch zu dem Ergebnis, dass das Versehen der Streitteile nicht auf bloß leichter Fahrlässigkeit beruhte. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob die Parteienvertreter, die die Revisionen ausgearbeitet und eingebracht haben, an den Unterbrechungsbeschluss und die damit verbundene Fristverkürzung gedacht haben, sondern es kommt darauf an, ob die Parteienvertreter den Unterbrechungsbeschluss, als er ihnen bekannt wurde, zum Anlass genommen haben, kanzleiintern durch geeignete Schritte festzuhalten, dass das Nichtigkeitsverfahren ab nun den Regelungen des § 157 PatG unterliegt. Wäre diese Bestimmung (was das OLG nicht annahm) nicht bekannt gewesen, würde dies allein bereits auf grober Fahrlässigkeit beruhen.
Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden daher abgewiesen (OLG Wien 33 R 10/23t).
Link zur OLG Wien-Entscheidung
Weitere Blog-Beiträge zu verfahrensrechtlichen Themen:
Grundsätze für den immaterialgüterrechtlichen Rechnungslegungsanspruch
OGH: Im Widerspruchsverfahren ist der Einwand mangelnder Schutzfähigkeit einer Marke nicht zulässig
Zwei Personen posten unwahres Facebook-Posting = materielle Streitgenossenschaft
Bloßes unsubstantiiertes Bestreiten ist ausnahmsweise als Geständnis anzusehen
Unterschiedliche Wettbewerbsverstöße in einer Klage: Kein einheitlicher Streitgegenstand