OGH-Entscheidung vom 26.4.2024, 6 Ob 30/24s
Sachverhalt:
Der Kläger ist Polizist und war bei einer in Innsbruck veranstalteten Demonstration im Einsatz.
(Wie HIER im Blog berichtet, war er infolgedessen Opfer eines „Shitstorms“, als sein Foto mit einem rufschädigenden und ehrenbeleidigenden Begleittext auf Facebook geteilt wurde. Der Kläger begehrte vor Gericht die Zahlung von Schadenersatz sowie Widerruf vom Inhaber eines der beteiligten Facebookprofile.)
Der in Kärnten wohnhafte Kläger machte das Verfahren beim Landesgericht Innsbruck anhängig. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich aus § 92b JN. Alle Berufskollegen des Klägers, die mit ihm im Einsatz standen und in Tirol wohnen, könnten ihn auf dem Bild erkennen, die Veröffentlichungen abrufen und einen unwahren, schlechten Eindruck vom Kläger bekommen.
Der Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt in Kärnten, daher liege der Ort des schädigenden Ereignisses dort.
Entscheidung:
Das Erstgericht verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Nach § 92b JN sei bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet an den Erfolgsort anzuknüpfen. Das Rekursgericht sprach hingegen die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts aus und wies die Klage zurück. Der OGH gab dem dagegen gerichteten Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.
Gemäß § 92b JN können Streitigkeiten wegen Verletzung eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
Nach den Materialien war Art 7 Nr 2 EuGVVO Vorbild für § 92b JN. Gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO besteht bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen ein Wahlgerichtsstand vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Mit der Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) gemeint (siehe auch dieser BLOG-Beitrag).
Wenn sich eine Person durch auf einer Website veröffentlichte Inhalte in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, hat sie die Wahl: Sie kann ihre Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens entweder bei den Gerichten jenes Mitgliedsstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedsstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, geltend machen. Stattdessen kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedsstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese Gerichte sind aber nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.
Jedenfalls dann, wenn ein Gesamtschaden geltend gemacht wird, kommt als Erfolgsort nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkte. Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten ließen dessen Wohnsitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht würden.
Eine Klage auf Richtigstellung unrichtiger Angaben und auf Verpflichtung zur Entfernung von Kommentaren kann nur bei den Gerichten des Mitgliedsstaats erheben, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet. Hingegen kann sie nicht vor den Gerichten jeden Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die veröffentlichten Informationen zugänglich sind oder waren, eine Klage auf Richtigstellung der Angaben oder Entfernung der Kommentare erheben.
Bei einem Binnensachverhalt im Anwendungsbereich des § 92b JN gilt das Folgende:
Eine Person kann eine Klage wegen behaupteter Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (hier: Facebook-Seite) auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens sowie auf Widerruf unwahrer und beleidigender Äußerungen einschließlich deren Veröffentlichung entweder vor dem
- (sachlich zuständigen) Gericht des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte seinen Wohnsitz oder Sitz hat, oder
- vor dem (sachlich zuständigen) Gericht des Ortes, an dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, erheben.
Der OGH erkannte jedoch entgegen der Ansicht des Klägers kein praktisches Bedürfnis, dass eine in ihren Persönlichkeitsrechten verletzte Person ihre Klage innerhalb eines Staats bei jedem Gericht einbringen können soll, in dessen Sprengel sich Kollegen, Freunde oder Bekannte, denen der online veröffentlichte Inhalt zur Kenntnis gelangte, wohnen.
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