OGH-Entscheidung vom 10.9.2024, 4 Ob 144/24s

 

Sachverhalt:

Eine Rechtsanwaltskanzlei (hier: Antragstellerin) erwirkte in einem Vorverfahren eine einstweilige Verfügung gegen ein Unternehmen, das im Auftrag Dritter gewerbsmäßige Abmahnschreiben bei Besitzstörungen versandte (siehe HIER im Blog). Der OGH bejahte dort einen Verstoß gegen den Anwaltsvorbehalt iSd § 8 Abs 2 RAO.

Die (Erst)Antragsgegnerin (eine britische Limited) bietet nunmehr ein modifiziertes Geschäftsmodell an, das durch die automatisiert erfolgte Einschaltung von sogenannten „Partnerrechtsanwälten“ geprägt ist. Den (potentiellen) Kunden wird aber nach wie vor angeboten, dass die Erstantragstellerin ihnen bei Besitzstörungen durch Falschparker „schnell und unbürokratisch“ behilflich ist. Nach Meldung durch einen Kunden würden die Halterdaten des Störers ermittelt und die Partneranwälte sich mit ihm postalisch in Verbindung setzen. Wie beim Vorgängermodell würden die Kunden mit Zahlung des Störers bis zu 200 EUR erhalten; es würden keine Kosten für den Kunden anfallen.

Dem neuen Modell lagen Allgemeine Vertragsbedingungen der Erstantragsgegnerin zugrunde, wonach der Erstantragsgegnerin ein Erfolgshonorar von 50 % (der vom Störer geleisteten Zahlung) zusteht. Der Kunde befreit den Rechtsanwalt gegenüber der Erstantragsgegnerin vom Anwaltsgeheimnis und bevollmächtigt diese, gegenüber dem Rechtsanwalt Erklärungen abzugeben sowie Weisungen zu erteilen.

Die Antragstellerin beantragte auch gegen dieses neue Geschäftsmodell die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Antrag teilweise statt. Das Rekursgericht erweiterte die einstweilige Verfügung; es bejahte Verstöße gegen § 47 Abs 3 Z 6 RL-BA 2015 und das Quota-litis-Verbot nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB. Der OGH wies den Revisionsrekurs der Antragsgegner zurück.

Nach neuerer Rechtsprechung beschränke sich der Begriff des „Rechtsfreunds“ iSd § 879 Abs 2 Z 2 ABGB nicht ausschließlich auf Rechtsanwälte oder sonstige Personen, für die – den anwaltlichen Standespflichten vergleichbare – Standesregeln bestehen (siehe zB DIESE Entscheidung). Auch ein Prozessfinanzierer kann dem Verbot unterliegen, wenn dieser seinem Kunden Rechtsberatung erteilt oder versucht, Einfluss auf die Verfahrensführung durch den Anwalt zu nehmen (siehe DIESE Entscheidung).

Im Hinblick auf das Weisungsrecht der Antragsgegner gegenüber ihren Partnerrechtsanwälten, und des Umstands, dass diese von den Kunden von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden werden und auch wegen der Möglichkeit der Antragsgegner, dass sie gegenüber den Rechtsanwälten (ohne jegliche inhaltliche Einschränkungen und Rücksprache mit den Kunden) auch rechtsgeschäftliche Erklärungen als Vertreter der Kunden abgeben darf, hielt der OGH die Beurteilung des Rekursgerichts nicht für korrekturbedürftig. Die Antragsgegner (und nicht ihre Kunden oder die Partnerrechtsanwälte) seien „Herr des Verfahrens“. Die Pflicht der Partnerrechtsanwälte, die Interessen ihrer Mandanten umfassend wahrzunehmen (vgl § 9 Abs 1 RAO) werde damit deutlich eingeschränkt.

Auch die öffentliche Äußerung des Geschäftsführers, dass „sich die Rechtsanwaltschaft … warm anziehen (kann)“ bzw dessen Prophezeiung, dass „die geschützte Werkstatt des § 8 RAO (nicht) auf ewig vor Konkurrenz vor Firmen und Dienstleister wie unsere schützen wird“, fügte sich in das Bild, dass die Rechtsdurchsetzung im Zusammenhang mit Besitzstörungen ungeachtet des Einschaltens von Partnerrechtsanwälten in Händen der Antragsgegner liegt.

Die Antragsgegner erbringen gegenüber ihren Kunden selbst inhaltliche Leistungen, die einem Rechtsanwalt vorbehalten sind. Es blieb bei der Bejahung des Rechtsbruchs iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG wegen Verstoßes des Quota-litis-Verbots nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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