OGH-Entscheidung vom 26.4.2024, 6 Ob 32/24k

 

Sachverhalt:

Die Erstantragstellerin ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Der Standard“ und der Website „www.der-standard.at“. Der Zweitantragsteller ist dort Journalist und als leitender Redakteur tätig.

Der Antragsgegner ist Landesparteisekretär und Landespressesprecher einer Landesgruppe der FPÖ. Im Herbst 2023 erschien folgende Presseaussendung:

„FPÖ – S*: Negativ-Kampagne des ‚Standards‘ gegen FPÖ Abgeordneten G* ging ins Leere

Sämtliche Ermittlungen gegen G* wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt

[…] ‚G* war im vergangenen halben Jahr Opfer einer bösartigen Verleumdungskampagne, die einmal mehr von Standard-Redakteur F* hochgezogen wurde. […].

[…] ‚Die effekthaschende Berichterstattung, wie sie der Standard und andere linke Medien betreiben, ist ein leicht durchschaubares Spiel, das lediglich der Diffamierung freiheitlicher Mandatare dient. Auf Richtigkeit wird dabei kein Wert gelegt. Das ist für eine vermeintlich unabhängige Presse beschämend und macht deutlich, welche Agenda in den Redaktionen verfolgt wird. Ein Journalist sollte sich nicht als politischer Aktivist betätigen.’“

Dieser Aussendung gingen Artikel im „Standard“ voran. Gegen den FPÖ-Politiker würden demnach Ermittlungen wegen Verdachts auf Wiederbetätigung laufen. Er sei von einer Frau angezeigt worden, die er in die Bude der Burschenschaft Albia eingeladen hatte. Diese hatte berichtet, dass Fotos von uniformierten Nazis mit NS-Symbolen im Kaminzimmer hängen, Erzählungen über einen ‚alten Nazi‘, der heimlich auf dem Dachboden lebe und sich so der Strafverfolgung entziehe getätigt wurden, sowie ein Buch mit Hakenkreuz auf dem Einband auflag. Ihre Aussagen hätten nun zu einer Hausdurchsuchung bei der Burschenschaft geführt. Gegen den Politiker sei ein Verfahren wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung eingeleitet worden. Das habe die Staatsanwaltschaft Wien bestätigt. Darüber hinaus werde der Politiker in dieser Sache auch von einer Ex-Abgeordneten belastet.

Zwei weitere Artikel folgten (zur Razzia bei der Burschenschaft sowie über Ermittlungen gegen „Spitzenpersonal“ der FPÖ). Zuletzt wurde berichtet, dass die „Ermittlungen gegen G* eingestellt“ worden seien.

Die Antragsteller begehrten infolge der Presseaussendung die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Behauptungen als unwahr und diffamierend.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen den Provisorialantrag ab. Das Rekursgericht sah die Äußerungen als zulässige Kritik an der als einseitig beurteilten Berichterstattung an. Es sei ausführlich und reißerisch über die Verdachtsmomente gegen den Abgeordneten berichtet worden, über die Ergebnislosigkeit einer Hausdurchsuchung und die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft dagegen aber nur in einer wenige Zeilen umfassenden Kurzmeldung. Die Vorwürfe des Antragsgegners bewegen sich noch im Rahmen zulässiger Kritik, weil ein ausreichender Tatsachenkern vorliege.

Der OGH befand den dagegen gerichteten Revisionsrekurs der Antragsteller als zulässig und teilweise berechtigt. Den Medien komme eine wichtige Rolle in einer demokratischen Gesellschaft zu. Es sei insbesondere ihre Funktion als „public watchdog“, politische Vorgänge kritisch zu beleuchten und verschiedene Positionen zu wesentlichen Vorgängen wiederzugeben.

Im vorliegenden Fall war aber zu beurteilen, ob (und wie weit) die Antragsteller sich Kritik an ihrer Berichterstattung gefallen lassen müssen.

Das Spannungsverhältnis zwischen den betroffenen Rechten (hier: das Recht auf freie Meinungsäußerung und das auf Schutz der Ehre) ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen (siehe zB HIER im Blog).

Bei der bis zur Kritik an der Berichterstattung verstrichenen Zeit von nahezu einem halben Jahr muss sich der Äußernde vergegenwärtigen, dass mit seinen Behauptungen eine Reaktion auf nur mehr schemenhaft in Erinnerung gebliebene Artikel erfolgt. Er kann nicht erwarten, dass ein – auch nicht der politisch interessierte – Leser akribisch recherchiert und die Artikel aus dem Archiv erneut aufruft und nachliest. Seine Äußerungen stehen daher über weite Strecken für sich bzw nur mehr dem verbliebenen Gesamteindruck gegenüber und können vom Leser nicht oder kaum mehr in Bezug zu einzelnen Abschnitten und Wortwendungen gesetzt werden.

Die Ausdrücke „Negativ-Kampagne“ und „Vorverurteilung“ wurden als leicht erkennbar Werturteile des Äußernden eingeordnet. Angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe in der Berichterstattung beurteilte der OGH den Ausdruck „Negativkampagne“ als Kritik im Sinne des Vorhalts einer unausgewogenen Berichterstattung und damit als zulässige Meinungsäußerung auf Basis eines ausreichenden Tatsachensubstrats. Auch, dass die „Artikelserie“ in zusammenfassender und wertender Betrachtung vom Antragsgegner als „Negativkampagne“ empfunden wurde, wollte der OGH unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht untersagen. In der Äußerung, „ein Journalist sollte sich nicht als politischer Aktivist betätigen“ sah der OGH ebenso keinen Wertungsexzess.

Überzogen und als Wertungsexzess sah der OGH allerdings die Behauptungen, die Medieninhaberin und ihr Redakteur hätten „einmal mehr eine bösartige Verleumdungskampagne hochgezogen“, die Berichterstattung habe „lediglich der Diffamierung freiheitlicher Mandatare gedient“ und in ihrer Berichterstattung werde „keinerlei Wert auf Richtigkeit gelegt“.

Der Umstand, dass ein Medium und Journalisten bei ihrer Berichterstattung einer bestimmten politischen Ausrichtung nicht nützen oder sie hintanhalten wollen, geht nicht zwanglos damit einher, dass dabei bewusst zum Mittel der Verbreitung von Unwahrheiten über eine Person gegriffen wird.

Die in diesen Äußerungen liegende Wertung, es sei mit der Berichterstattung nicht bloß auf das Bestehen angeblicher Missstände aufmerksam gemacht worden, sondern mit den Verdächtigungen völlig Unwahres berichtet worden („kein Wert auf Richtigkeit gelegt“), hier noch dazu getragen von Absicht („leicht durchschaubares Spiel, das lediglich der Diffamierung […] dient“), beruht nicht auf einem (auch nur dünnen) Tatsachenkern. Diese Qualifikation der Artikel durch den Antragsgegner ist nicht mehr durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt und wurde vom OGH wegen des darin liegenden Wertungsexzesses als Eingriff in die Reputation der Antragsteller untersagt.

 

 

Link zur Entscheidung

 

Weitere Blog-Beiträge:

Buch thematisiert aus konkretem Anlass lang zurückliegende Neonazi-Aktivitäten: Interesse der Öffentlichkeit und Pressefreiheit überwiegen

Absprachen vor Untersuchungsausschuss: Medien dürfen als „public watchdog“ darüber berichten.

Mehrdeutige Äußerungen in hitziger Videodebatte: Auch Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen.

„Identitätsdiebstahl“ von Politiker auf Twitter: OGH verneint Satire sondern sieht Verletzung von Persönlichkeitsrechten

Aufruf zu Gegendemonstration: Verwendung eines Politikerfotos als „Bildzitat“ gerechtfertigt.

Potenzmittel auf Rechnung der Partei? Politiker postet Informationen aus Privatleben auf Facebook: Höchstpersönlicher Lebensbereich verlassen.

Naturmotiv statt Raucherfoto: Wenn Politiker zur Optimierung ihrer medialen Darstellung Hintergrundbilder retuschieren, ist die Veröffentlichung dieser Fotos als Bildzitat zulässig.

Verwendung von fremden Fotos im politischen Diskurs kann durch Meinungsfreiheit gedeckt sein

Parlamentsklub haftet für Urheberrechtsverletzung des Fraktionsführers. Recht auf freie Werknutzung umfasst keine Pressekonferenz einer politischen Partei.

„Übelster Kolumnisten-Schuft“ mit „dreckigen Fantasien“, stockbesoffener „Promille-Schreiber“… Wo liegen die Grenzen zulässiger Kritik?

Bezeichnung als „Judas“ in Zeitungsartikel ist von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt

„KHG“ („Korrupte haben Geld“) – Brettspiel verletzt nicht Namensrecht von Karl-Heinz Grasser