OGH-Entscheidung vom 26.4.2024, 4 Ob 72/24b

 

Sachverhalt:

Die beklagte Stadt Wien errichtete vor ca 40 Jahren nach Plänen des Malers Friedensreich Hundertwasser und des Architekten Josef Krawina im 3. Bezirk in Wien ein Gebäude, das heute als „Hundertwasser/Krawina-Haus“ bezeichnet wird.

Die Klägerin betreibt im Haus ein Geschäftslokal, in dem Informationen über das Haus erteilt und damit zusammenhängende Artikel und Souvenirs zum Kauf angeboten werden. Krawina räumte der Klägerin seine Werknutzungsrechte ein und übertrug ihr auch seine Urheberpersönlichkeitsrechte zur treuhändigen Wahrnehmung.

Die Stadt Wien gestaltete im Herbst 2023 einen Teil des vor dem Haus liegenden Außenbereiches dahin um, dass eine nicht begehbare „Baumscheibe“ für eine Baumpflanzung ausgeführt wurde. Die Neugestaltung erfolgte auf der Grundlage einer Bürgerbeteiligung, die ua mehr Begrünung und Verschönerung gefordert hat.

Die Klägerin war der Ansicht, dass die geplante Pflanzung eines weiteren Baumes, welche unmittelbar vor dem klägerischen Geschäftslokal vorgenommen werden solle, empfindlich in die architektonische Gestaltung des Vorplatzes eingreife. Sie klagte auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen den Verfügungsantrag ab. Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin zurück.

Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts ist das Recht des Urhebers zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Änderungen des Werks zulässig sind. § 21 UrhG normiert diesbezüglich einen Werkschutz, der die Änderung des Werks grundsätzlich verbietet. Nach § 21 Abs 1 UrhG sind insbesondere Änderungen zulässig, die der Urheber dem zur Benutzung des Werks Berechtigten nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen nicht untersagen kann, namentlich Änderungen, die durch die Art oder den Zweck der erlaubten Werknutzung gefordert werden. Einem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch, gerichtet auf das Verbot von Veränderungen des Werks, können nicht nur vom Gesetz explizit zugelassene Rechte, sondern auch verfassungsrechtlich geschützte Rechte entgegenstehen, worunter auch das Eigentumsrecht fällt (Art 5 StGG, Art 1 des 1. ZP zur EMRK). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Eigentümer einer Sache grundsätzlich die Befugnis hat, mit der Substanz und den Nutzungen der Sache nach Willkür zu schalten und jeden anderen auszuschließen (§ 354 ABGB).

Der Umfang des in § 21 Abs 1 UrhG normierten Änderungsrechts ist im Rahmen einer Abwägung der Interessen zwischen dem Werkschutz als Urheberpersönlichkeitsrecht und dem Gebrauchsinteresse des Nutzungsberechtigten zu bestimmen; vor allem an Hand der Kriterien der Art und Intensität des Eingriffs, der Gestaltungshöhe des Werks und seines konkreten Gebrauchszwecks.

Auch die bloß geschäftlichen Interessen der klagenden Partei stehen in keinem direkten Zusammenhang mit dem behaupteten Werkschutz und machen die Umgestaltung nicht deshalb unzulässig. Die Bepflanzung mit einem zusätzlichen Baum deckt sich schließlich eher mit den geistigen Interessen des Architekten. Es wurde nämlich festgestellt, dass nach seinen Plänen in der Kegelgasse durchgehend Bäume gepflanzt hätten werden sollen. Die geplante Bepflanzung schließt damit auch das Vorliegen einer „Entstellung“ des Werks iSd § 21 Abs 3 UrhG aus.

 

 

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