BGH-Urteil vom 21.7.2023, V ZR 112/22

 

 

Sachverhalt:

Ein Kunstsammler erwarb im Jahr 1999 im Rahmen einer Auktion in London ein Gemälde. Dieses Gemälde befand sich in der Zeit von 1931 bis 1937 im Besitz eines jüdischen Kunsthändlers, dem im Jahr 1935 durch die Reichskammer der bildenden Künste die weitere Berufsausübung untersagt wurde. 1937 verkaufte der Kunsthändler das Gemälde an eine Privatperson aus Essen. Im September 1937 wurde er endgültig gezwungen seine Galerie aufzugeben, woraufhin er nach Kanada emigrierte. Sein Nachlass wird von einem kanadischen Trust verwaltet, dessen Treuhänder die Beklagten sind.

Im Juni 2016 wurde auf Veranlassung der Beklagten eine Suchmeldung für das Gemälde auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank veröffentlicht (Link zur verfahrensgegenständlichen Suchmeldung). Diese Datenbank dokumentiert Kulturgüter, die insbesondere jüdischen Eigentümern aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entzogen wurden, oder für die ein derartiger Verlust nicht auszuschließen ist. Mithilfe der Veröffentlichung sollen frühere Eigentümer bzw. deren Erben mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib des Kulturgutes unterstützt werden.

Im Rahmen einer Ausstellung des Gemäldes wurde der Kläger über die Suchmeldung und eine in Kanada veranlasste Fahndung nach dem Gemälde durch Interpol informiert. Er fühlt sich durch den Eintrag in der Lost Art-Datenbank und die Interpol-Fahndung in seinem Eigentum beeinträchtigt und klagte auf Unterlassung und Löschung der Suchmeldung aus der Lost Art-Datenbank.

 

Entscheidung:

Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen ohne Erfolg. Der BGH wies nun auch die Revision des Klägers zurück:

Die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung dar und begründet daher keinen Anspruch auf Löschung der Suchmeldung.

Die Beklagten haben sich nicht des Eigentums an dem Gemälde des Klägers berühmt. Mit der Suchmeldung des Gemäldes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank und der Fahndung über Interpol sei lediglich an das früher bestehende Eigentum des Kunsthändlers angeknüpft worden. Zweck der Veröffentlichung sei Zusammenführung früherer Eigentümer bzw. deren Erben mit den heutigen Besitzern, um diese bei der Erarbeitung einer Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 über den Umgang mit während der NS-Zeit abhanden gekommenen Kunstwerken zu unterstützen. Mit der Suchmeldung werde lediglich auf das frühere Eigentum an dem Kunstwerk und die Umstände des Verlustes Bezug genommen wird; eine Aussage über das gegenwärtig bestehende Eigentum oder etwaige daran anknüpfende Ansprüche ist damit weder verbunden noch beabsichtigt.

Auch der Anspruch auf Löschung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank besteht nicht. Denn die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art- Datenbank stelle keine Eigentumsbeeinträchtigung dar und begründe daher keinen Löschunganspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung. Durch die Suchmeldung wird die Eigentumszuordnung nicht infrage gestellt und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers jedenfalls in rechtlicher Hinsicht nicht eingeschränkt.

Eine auf wahren Tatsachen beruhende sachliche Information über den Verdacht des NS-verfolgungsbedingten Verlustes eines Kulturgutes beeinträchtigt die Rechte aus dem Eigentum aber auch schon deshalb nicht, weil der Betroffene die Behauptung und Verbreitung wahrer Tatsachen in der Regel hinzunehmen hat, auch wenn dies für ihn nachteilig ist. Das berechtigte Interesse früherer Eigentümer von Kulturgut bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie das allgemeine öffentliche Interesse an der Provenienz NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter überwiegen jedenfalls ein in der Regel allein auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhendes Interesse des gegenwärtigen Eigentümers an der Geheimhaltung solcher Tatsachen.

Ob eine Eigentumsbeeinträchtigung anzunehmen ist, wenn in Bezug auf die Sache unwahre marktrelevante Tatsachen behauptet bzw. wertbildende Faktoren falsch dargestellt werden, ließ der BGH leider unbeantwortet, da es dem Kläger nicht um die Abwehr unzutreffender Tatsachenbehauptungen über das Gemälde ging. Ein zivilrechtlicher Löschungsanspruch nach den Grundsätzen des sog. Verwaltungsprivatrechts könne in Betracht kommen. Ein solcher Anspruch könnte sich aber nur gegen die Stiftung als Betreiberin der Datenbank richten, nicht gegen die Beklagten als bloße Veranlasser der Meldung.

 

Link zum Entscheidungstext

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 21.7.2023

 

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