OGH-Entscheidung vom 22.3.2023, 7 Ob 38/23y

 

Sachverhalt:

Ein Ehepaar ließ sich nach insgesamt 13-jähriger Beziehung scheiden. Sie lebten bis September 2022 gemeinsam im ehelichen Wohnhaus. Im Juli 2022 teilte die Ehefrau (Antragstellerin) dem Ehemann  (Antragsgegner) mit, dass sie sich trennen wolle. Seither fühlt sie sich verfolgt und beobachtet. Der Antragsgegner wusste Dinge und Geschehnisse aus dem Leben der Antragstellerin, die diese ihm nicht erzählt hatte und er eigentlich nicht wissen konnte. Im September entdeckte die Antragstellerin eine versteckte Videokamera, die unter einem Kästchen montiert war. Die Antragstellerin verließ aufgebracht das Haus. Als sie wenig später zurückkehrte, fand sie in der Tasche des Antragsgegners Fotoausdrucke ihrer Smartphonedateien, unter anderem Kontaktdaten und Anruflisten, ohne dass sie dem Antragsgegner je erlaubt hätte, diese anzufertigen. Ebenso fand sie eine Rechnung über zwei Überwachungskameras samt vier SD-Karten. Alarmiert durch den Fund suchte und fand die Antragstellerin am selben Abend einen Peilsender im Kofferraum ihres PKW. Die Antragstellerin suchte noch in derselben Nacht die Polizei auf. Diese sprach ein Betretungsverbot für das Wohnhaus sowie ein Annäherungsverbot aus. Später fand die Antragstellerin noch ein Aufzeichnungsgerät (Voicerecorder) in ihrem PKW.

Der Antragsgegner montierte diese technischen Mittel (Voicerecorder, Videokamera, Peilsender), um die Antragstellerin zu überwachen und einen Beweis für ein vermeintlich außereheliches Verhältnis der Antragstellerin zu gewinnen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ eine einstweilige Verfügung gestützt auf § 382c und § 382d EO, und verbot dem Antragsgegner den Aufenthalt in der bisherigen Ehewohnung und dessen unmittelbarer Umgebung, die persönliche Kontaktaufnahme und die Verfolgung der Antragstellerin, insbesondere durch technische Mittel sowie die briefliche, telefonische und sonstige Kontaktaufnahme. Den Widerspruch des Antragsgegners wies es ab. Auch das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners keine Folge. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners blieb ebenso ohne Erfolg.

Der Antragsgegner bestritt nicht, dass seine Überwachungsmaßnahmen als erhebliche Eingriffe in die Privatsphäre der Antragstellerin anzusehen sind. Er war jedoch der Meinung, er habe in Verfolgung eines berechtigten Interesses gehandelt:

Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest, trifft den Verletzer die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und, dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war.

Der höchstpersönliche Lebensbereich stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar und ist daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich. Dem höchstpersönlichen Lebensbereich sind nicht nur im häuslichen Bereich zu Tage tretende Umstände und sich dort zutragende Ereignisse zuzurechnen. Er umfasst vielmehr auch Gegebenheiten der sogenannten „Privatöffentlichkeit“, das heißt, privates Handeln in öffentlichen Räumen. Bei Verletzung fremder absolut geschützter Rechte ist eine besonders umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall setzte der Antragsgegner Handlungen, die eine möglichst lückenlose Überwachung seiner Ehefrau bewirken sollten, um einen von ihm vermuteten Ehebruch nachweisen zu können. Die systematische, verdeckte, identifizierende technische Überwachung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Antragstellerin rechtfertigte jedenfalls die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382d EO. Die vorgenommenen Handlungen sind in ihrer Eingriffsintensität mit dem Engagieren eines Privatdetektivs nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass die Überwachungsmaßnahmen lediglich auf einer bloßen Vermutung beruhten.

 „Psychoterror“ ist nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Von Bedeutung ist nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der Antragstellerin. Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382c EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit der Antragstellerin erheblich beeinträchtigt wird. Angesichts des Umstands, dass die Antragstellerin aufgrund der systematischen Überwachungsmaßnahmen eine depressive Episode durchlief und Panikattacken erlitt, lagen auch die Voraussetzungen des § 382c EO vor.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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