OGH-Entscheidung vom 25.3.2025, 2 Ob 15/25g

 

Sachverhalt:

Im Februar 2023 kam es zu einem Unfall zwischen einem E-Bike-Fahrer und einem PKW im Bereich eines Geh- und Radwegs bei einer Tankstellenzufahrt. Der E-Bike-Fahrer war ohne Helm mit 20-25 km/h unterwegs, als der PKW-Lenker verbotswidrig die Tankstellenzufahrt als Ausfahrt benutzte. Trotz eingeschränkter Sicht wegen einer Hecke fuhr der PKW-Lenker langsam los. Bei der Kollision erlitt der E-Bike-Fahrer schwere Verletzungen im Kopf- und Gesichtsbereich. Ein Helm hätte die Verletzungsfolgen um etwa ein Fünftel reduziert.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht ging vom Alleinverschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalls aus und gab dem Zahlungsbegehren teilweise statt. Allerdings sei dem Kläger ein Mitverschulden von 20 % wegen Nichttragens des Fahrradhelms anzulasten. Er sei mit überdurchschnittlicher Radfahrgeschwindigkeit unterwegs gewesen und unter E-Bike-Fahrern bestehe mittlerweile ein allgemeines Bewusstsein zum Tragen eines Helms. Auf dieser Grundlage kürzte das Erstgericht alle Ansprüche des Klägers um die angenommene Mitverschuldensquote.

Das Berufungsgericht sprach dem Kläger höheren Schadenersatz zu und verneinte ein Mitverschulden des Klägers wegen des Nichttragens eines Helms.

Der OGH gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und bejahte beim E-Bike-Fahren eine Obliegenheit zum Tragen eines Helms. Jedenfalls ab dem Jahr 2023 ist das Nichttragen eines Fahrradhelms beim E-Bike-Fahren als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten iSd § 1304 ABGB zu werten. Dies gilt auch ohne gesetzliche Helmpflicht für Erwachsene.

Begründet hat der OGH dies damit, dass E-Bikes gegenüber normalen Fahrrädern bauliche Besonderheiten aufweisen (höheres Gewicht, Motorkraftverstärkung), die einen höheren Sorgfaltsmaßstab rechtfertigen. Die höhere Unfallhäufigkeit und die gestiegene Helmtragequote bei E-Bike-Fahrern (62%) zeigen, dass sich in der Bevölkerung ein allgemeines Bewusstsein für die Wichtigkeit des Helmtragens beim E-Bike-Fahren entwickelt hat.

Für die Schadenersatzberechnung bedeutet dies: Das Nichtragen eines Helms wirkt sich nur auf den Schmerzengeldanspruch aus, nicht aber auf andere Schadenspositionen wie Heilungskosten oder Sachschäden. Im konkreten Fall wurde das Schmerzengeld um 600 EUR (ein Fünftel von 3.000 EUR) gekürzt.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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