EuGH-Urteil vom 13.3.2025, Rechtssache C‑589/23
Sachverhalt:
Das erste beklagte Unternehmen vertreibt das Produkt Femannose als Medizinprodukt „zur Behandlung und Prävention von Zystitis (Blasenentzündung) sowie anderen Harnwegsinfekten“. In dem Produkt waren als wesentliche Bestandteile D‑Mannose und Cranberry-Extrakt enthalten. Das zweite beklagte Unternehmen betreibt eine Internetseite, auf der das Produkt Femannose beworben wurde.
Der deutsche Verband Sozialer Wettbewerb e. V. klagte beide Unternehmen, um das Inverkehrbringen von und die Werbung für Femannose/Femannose N als Medizinprodukte verbieten zu lassen.
Nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs legte der BGH dem EuGH das Verfahren zur Vorabentscheidung vor. Der BGH wollte im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) dahin auszulegen ist, dass bei einem Stoff, der durch eine reversible Bindung an Bakterien verhindert, dass sich diese an menschliche Zellen binden, davon auszugehen ist, dass er eine „pharmakologische Wirkung“ im Sinne dieser Bestimmung ausübt.
Entscheidung:
Der EuGH hielt einleitend fest, dass als „Funktionsarzneimittel“ alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen gelten, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Ein Stoff, der u. a. zur Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, ist als „Medizinprodukt“ einzustufen, sofern seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird. Daraus folgt, dass ein Stoff nicht als „Medizinprodukt“ eingestuft werden kann, wenn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper durch pharmakologische Mittel erreicht wird.
Die Begriffe „pharmakologische Wirkung“ sind in beiden Richtlinien (2001/83 und 93/42) einheitlich auszulegen. Nach dem Sprachgebrauch bedeute „pharmakologischen Wirkung“ die Wirkungen eines Stoffes auf einen lebenden Organismus, insbesondere zu therapeutischen oder präventiven Zwecken. Der EuGH fasste zusammen, dass bei einem Stoff, der durch eine reversible Bindung an Bakterien verhindert, dass sich diese an menschliche Zellen binden, davon auszugehen ist, dass er eine „pharmakologische Wirkung“ ausübt.
Somit unterliegt ein Erzeugnis, das der Definition des Begriffs „Arzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a oder b der Richtlinie 2001/83 entspricht, den rechtlichen Regelungen dieser Richtlinie und kann folglich nicht als „Medizinprodukt“ im Sinne der Richtlinie 93/42 eingestuft werden.
Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage daher dahingehend, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass bei einem Stoff, der durch eine reversible Bindung an Bakterien verhindert, dass sich diese an menschliche Zellen binden, davon auszugehen ist, dass er eine „pharmakologische Wirkung“ im Sinne dieser Bestimmung ausübt.
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