OGH-Entscheidung vom 5.3.2024, 1 Ob 22/24b

 

Sachverhalt:

Ein Ehepaar wurde aus dem überwiegenden Verschulden der Frau geschieden. Der Ehe entstammen drei minderjährige Kinder. Vor Kriegsbeginn verbrachte die Familie regelmäßig Zeit in der Ukraine. Der Mann bezog bis 2016 als Miteigentümer einer später verstaatlichten Bank in der Ukraine ein hohes Einkommen, das dem Ehepaar jährliche Ausgaben von rund 400.000 USD sowie luxuriöse Anschaffungen (etwa eines Helikopters oder einer Eigentumswohnung um rund vier Millionen EUR) erlaubte. Der Mann lebte zuletzt in der Slowakei von 70.000 EUR, die er aus der Ukraine mitgenommen hatte. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine konnte nicht mehr beliebig über sein dortiges Vermögen verfügen. Die Frau lebte zuletzt von der Notstandshilfe.

Nachdem die Frau dem Mann per SMS mitgeteilt hatte, sich scheiden lassen zu wollen, verließ sie vorübergehend die gemeinsame Wohnung und ließ die Kinder mit dem Kindermädchen allein. Die Frau hatte im Schlafzimmer eine „Installation“ hinterlassen, bei der sich ein Messer auf Bildern der drei Kinder befand. Der Mann flog daraufhin mit den Kindern in die Ukraine und verweigert der Frau seither den Kontakt zu diesen.

Die Frau schickte dem Mann daraufhin unzählige Kurznachrichten mit Gewalt- und Morddrohungen (etwa: „lebendig zerschneiden“, „Gedärme rausholen“, „mit einem Hammer den Schädel brechen“). Die Frau griff den Mann auch tätlich an und attackierte dabei auch andere Personen. Sie verkaufte wertvolle Uhren des Mannes ohne seine Zustimmung und zerstörte mehrere seiner Wertgegenstände. Außerdem stellte sie ihm in derber Weise Geschlechtsverkehr mit anderen Männern und Frauen in Aussicht.

Die Frau begehrte vor Gericht vorläufigen Unterhalt in Höhe von monatlich 33.000 EUR.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil die Frau ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Frau wurde vom OGH zurückgewiesen.

Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts kein Unterhaltsanspruch zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Eine solche Verwirkung des Unterhalts tritt ein, wenn dessen Geltendmachung und Gewährung wegen des Verhaltens des an sich unterhaltsberechtigten Ehegatten grob unbillig wäre.

Eine vollständige Unterhaltsverwirkung setzt dabei regelmäßig den völligen Verlust des Ehewillens des unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus. Dieser muss sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt haben. Das Rekursgericht legte diese Grundsätze seiner Entscheidung zugrunde.

Die Frau argumentierte, dass ein ehewidriges Verhalten nach Auflösung des gemeinsamen Haushalts zu keinem Verlust des Unterhaltsanspruchs mehr führen könne. Ihre Drohungen, Beleidigungen, Tätlichkeiten und Vermögensschädigungen seien bloß eine (nachvollziehbare) Reaktion darauf gewesen, dass der Mann die Wohnung mit den Kindern verlassen habe. Schon das Rekursgericht war hier jedoch der Ansicht, dass mit diesem Verhalten jedes noch tolerierbare Ausmaß weit überschritten wurde und sich die Frau über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt habe. Auf die Kinder nahm sie dabei ebenso keine Rücksicht.

Ob die nach § 94 Abs 2 ABGB für einen Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Haushaltsführung hier dadurch erfolgte, dass die Frau im Haushalt nur bestimmte Leitungs- und Organisationsaufgaben wahrnahm, konnte angesichts der Verwirkung dahingestellt bleiben.

 

 

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