OGH-Entscheidung vom 23.11.2021, 4 Ob 84/21p

 

Sachverhalt:

Der VKI klagte einen Internetanbieter, der auf Plakaten und im TV mit der Werbebotschaft warb: „Gratis bis Jahresende“.

Der VKI erachtete die Werbekampagne als irreführend iSd § 2 UWG. Die Beklagte suggeriere mit ihrer Werbung eine besondere, zeitlich befristete Gelegenheit zu maßgeblichen Ersparnissen. Damit werde ein künstlicher Zeitdruck für den Konsumenten erzeugt. Die Beklagte verstoße damit gegen das UWG, weil sie tatsächlich bei Neuverträgen beinahe nie die volle Monatsgebühr für die ersten drei Monate verrechnet habe.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage nur teilweise statt. Es verneinte eine Irreführungseignung, weil jeder Durchschnittskonsument wisse, dass es Unternehmen unbenommen sei, nach einer gerade laufenden Rabattaktion weitere – möglicherweise sogar günstigere – Rabatte anzubieten. Im Telekommunikationssektor werde nahezu ständig mit Rabattierungsaktionen Kundenakquise betrieben. Das Berufungsgericht hob die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der OGH erachtete den dagegen von der Beklagten erhobenen Rekurs für zulässig und teilweise berechtigt.

Die Beklagte erweckt durch den im TV-Werbespot eingesprochenen Text „Jetzt bis Jahresende“ den Eindruck, dass es sich um eine besonders günstige Gelegenheit für einen Vertragsabschluss handle. Gerade bei Dauerschuldverhältnissen für Dienstleistungen wie Kommunikation, Energie oder Unterhaltung erreichen die Anbieter eine gewisse Kundenbindung, indem sie bei einem Kündigungsverzicht günstige Vertragskonditionen in Aussicht stellen. Auch wenn es für den Kunden ökonomisch sinnvoll wäre, sofort nach Ablauf der Mindestvertragsdauer die Konditionen anderer Anbieter zu prüfen, entspricht es der Lebenserfahrung, dass viele Kunden auch über den Bindungszeitraum hinaus an ihrem Vertrag festhalten. Werbung mit einem (scheinbar) zeitlich befristeten Sonderangebot ist daher durchaus geeignet, solche Kunden zu einem rasch(er)en Anbieterwechsel zu bewegen.

Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die Ankündigung beim Publikum den unrichtigen Eindruck eines befristeten Angebots erwecken konnte. Auch in der direkten Gewährung von weiteren Aktionen nach dem Ende eines angegebenen Aktionszeitraums könne eine unlautere Geschäftspraktik liegen. Denn die Bewerbung eines „bis Jahresende“ befristeten Sonderangebots ist irreführend, wenn – mit oder ohne Verschulden des Werbenden – dieselben oder sogar noch günstigere Konditionen ohne jede Unterbrechung auch danach noch immer gewährt werden.

Auch das Werben mit Mondpreisen war zu prüfen: Die Beklagte erließ in Wahrheit bei allen Neuverträgen die Grundgebühr für die ersten drei Monate zur Gänze oder zu 95 %. Die Beklagte setzt ihre aktuelle Preisgestaltung in Relation zu einem tatsächlich nie verrechneten Phantasiepreismodell. Damit ist die Rechtsprechung zur irreführenden Preisgegenüberstellung mit Mondpreisen einschlägig. Wer Preise zunächst so festsetzt, dass ihm die generelle Gewährung und werbewirksame Ankündigung von Preisnachlässen möglich ist, verstößt nach ständiger Rechtsprechung gegen § 2 UWG. Ob der Werbende die angebliche Preisreduktion durch sein „Sonderangebot“ dabei als absoluten Eurobetrag, als prozentuellen Rabatt oder – wie hier – als Gratisbezugszeitraum umschreibt, ist dabei nicht von Relevanz. In allen diesen Fällen wird eine Ersparnis in Aussicht gestellt, indem der Werbende einen Vergleich nicht mit realen, also früher regelmäßig verlangten Preisen, sondern mit überhöhten fiktiven Kalkulationsgrößen anstellt.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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