OGH-Entscheidung vom 21.10.2025, 4 Ob 3/25g

 

Sachverhalt:

Die klagende Verwertungsgesellschaft nimmt die Aufführungs-, Sende- und Zurverfügungstellungsrechte für Musikwerke für Textautoren, Komponisten und Musikverleger wahr.  Die Beklagte betreibt in zumindest 133 Wohnhausanlagen Gemeinschaftsantennenanlagen, über die zentral empfangene Fernseh- und Rundfunksignale mittels Kabel an insgesamt über 10.000 Anschlüsse weitergeleitet werden. Den Bewohnern wird das Aufstellen individueller Satellitenanlagen untersagt, da die Beklagte zur Vermeidung eines Wildwuchses und in Entsprechung der Bauordnung Gemeinschaftsanlagen bereitstellt. Kurzzeit- oder Untervermietungen der Wohnungen sind sowohl vertraglich als auch gesetzlich ausgeschlossen.

Die Verwertungsgesellschaft klagte die Wohnbaugenossenschaft und begehrte im Rahmen einer Stufenklage Auskunft über die angeschlossenen Teilnehmer sowie Zahlung eines entsprechenden Werknutzungsentgelts. Sie argumentierte, die Beklagte nehme durch die Weiterleitung der empfangenen Signale an die Wohnungen eine vergütungspflichtige Zweitverwertung urheberrechtlich geschützter Werke vor.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab, da die Beklagte lediglich technische Einrichtungen bereitstelle und keine öffentliche Wiedergabe im Sinn des Urheberrechtsgesetzes vorliege. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, dass kein neues Publikum erschlossen werde. Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Revision.

Der OGH wies die Revision der Klägerin mangels erheblicher Rechtsfrage zurück. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von Art 3 Abs 1 der Info-Richtlinie (2001/29/EG) zwei kumulative Tatbestandsmerkmale umfasse, nämlich eine Handlung der Wiedergabe eines Werks und seine öffentliche Wiedergabe.

Zur Unterscheidung einer öffentlichen Wiedergabe von der bloßen Bereitstellung von Einrichtungen sei insbesondere darauf abzustellen, ob der Nutzer eine zentrale Rolle einnehme, um seinen Kunden Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen, sowie auf die Vorsätzlichkeit seines Tätigwerdens, gerade wenn dieses Erwerbszwecken diene.

Der Begriff Öffentlichkeit umfasse eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten und setze recht viele Personen voraus, die gleichzeitig oder nacheinander Zugang zum Werk haben könnten. Für eine Einstufung als öffentliche Wiedergabe sei erforderlich, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines spezifischen technischen Verfahrens, das sich von den bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein neues Publikum wiedergegeben werde.

Der OGH stellte fest, dass die Rechtsansicht der Vorinstanzen jedenfalls vertretbar sei, bei den Mietern der Beklagten handle es sich nicht um neues Publikum im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Die Beklagte habe ausdrücklich und unwidersprochen vorgebracht, dass Kurzzeitvermietungen ihrer Wohnungen sowohl vertraglich als auch gesetzlich ausgeschlossen seien. Damit könne davon ausgegangen werden, dass die Mieter der Beklagten als solche mit Haupt- oder Zweitwohnsitz und als Besitzer von Empfangsgeräten angesehen werden könnten, die die Sendung allein oder im privaten beziehungsweise familiären Kreis empfangen, und somit als Mitglieder der Öffentlichkeit, die von den Inhabern der Urheberrechte bereits berücksichtigt wurden, als sie ihre Erlaubnis für die ursprüngliche Wiedergabe erteilten.

Die Beklagte verbiete ihren Bewohnern das Aufstellen individueller Satellitenanlagen, weil sie zur Vermeidung eines Wildwuchses Gemeinschaftsanlagen bereitstelle. Sie ersetze aber im Ergebnis bloß die jeweilige Empfangsanlage ihrer Mieter, ohne dass sie andere oder zusätzliche Empfangsmöglichkeiten schaffe, die den Mietern ohne dieses Konzept nicht zur Verfügung stünden. Damit sei es vertretbar, die reine Zurverfügungstellung einer Gemeinschaftsantennenanlage durch die Beklagte als Hauseigentümerin und Vermieterin zu Wohnzwecken nicht als Erschließung neuen Publikums und sohin auch nicht als eigene öffentliche Wiedergabe zu verstehen.

Auch die technische Umsetzung über ein internes Kabelnetz ändere daran nichts, da der EuGH in ständiger Rechtsprechung von der Technologieneutralität der öffentlichen Wiedergabe ausgeht. Die Beklagte betreibe kein traditionelles Kabelnetz im engeren Sinn, sondern montiere als Hauseigentümerin und Vermieterin pro Wohneinheit eine eigenständige Gemeinschaftsempfangsanlage mit einer Parabolantenne, von der sie das Signal kabelgebunden im jeweiligen Haus verteile. Obwohl dadurch ein Technologiewechsel von Satellit auf Kabel stattfinde, unterscheide sich dieses Verfahren nicht vom Empfang einer Sendung mittels privater Satellitenanlage eines Mieters, mit der das Signal eingefangen, bei Bedarf verstärkt und mittels Kabel zum eigenen Empfangsgerät geleitet werde. Die Weiterleitung des Signals innerhalb eines Hauses sei daher keine eigenständige Wiedergabehandlung, sondern nur die Bereitstellung einer Empfangseinrichtung.

 

 

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