OGH-Entscheidung vom 17.9.2021, 4 Ob 132/21x

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Betreiberin eines österreichischen Fernsehsenders. Die Beklagte (YouTube) betreibt unter der Domain www.youtube.com eine Online-Videoplattform als Host-Service-Provider. Ihre Dienstleistung besteht in der Speicherung von durch Nutzer eingegebenen fremden Inhalten. Eine Überprüfung auf Urheberrechtsverletzungen erfolgt grundsätzlich nicht. Sofern die Nutzer zustimmen, werden die hochgeladenen Videos mit Werbung versehen („monetarisiert“). Will der Nutzer seine Videos monetarisieren, muss er vorab bestätigen, die Copyright-Lernmaterialien gelesen zu haben und über die Urheber- oder Nutzungsrechte an den Videos zu verfügen.

YouTube verfügt über einen automatisierten Überprüfungs-Prozess, der aufgrund einer ausreichend substanziierten Benachrichtigung („Take-Down-Notice“) unverzüglich zu einer Sperre der reklamierten Videos führt. Kommt in einem solchen Verfahren eine Rechtsverletzung zutage, werden die betroffenen Inhalte blockiert oder das Konto des Nutzers gesperrt. Im Anlassfall hat YouTube die von der Klägerin beanstandeten Videos nach deren Abmahnung unverzüglich entfernt.

Mit ihrer Unterlassungsklage begehrte die Klägerin, es YouTube zu verbieten, unter der Videos zur Verfügung zu stellen, die von der Klägerin hergestellte Filmwerke oder Laufbilder oder Teile davon enthalten und von dazu nicht berechtigten Personen auf YouTube hochgeladen wurden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Haftungsprivileg des Host-Service-Providers falle weg, wenn der Vermittler seine neutrale Position verlasse und eine aktive Rolle übernehme. YouTube sei als Gehilfe der Urheberrechtsverletzungen der Nutzer anzusehen. Das Berufungsgericht gab der Berufung von YouTube Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern die Erstbeklagte über das typische Verhalten eines privilegierten Host-Service-Providers hinausgehe. Der OGH befand die Revision der Klägerin zwar für zulässig, aber nicht berechtigt. Unter Verweis auf die jüngste einschlägige EuGH-Rechtsprechung, begründete der OGH seine Entscheidung wie folgt:

Zentrale Problematik des Verfahrens ist, ob YouTube eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG (bzw § 18a UrhG) zu verantworten hat, wenn es von Nutzern eingestellte, rechtsverletzende Inhalte zum Abruf bereitstellt. Eine öffentliche Wiedergabe ist im Anlassfall auszuschließen, weil ein aktiver Beitrag von YouTube dahingehend, dass der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten verschafft wird, nicht vorliegt. YouTube hat die von der Klägerin beanstandeten Videos nach Kenntniserlangung von deren Urheberrechten durch Abmahnung jeweils unverzüglich entfernt.

Der EuGH führte in seiner Entscheidung dazu aus, dass der Plattformbetreiber bei der Zugänglichmachung von durch Nutzer eingestellte Inhalte zwar eine zentrale Rolle spielt, dies allein jedoch nicht ausreicht, eine öffentliche Wiedergabe anzunehmen. Vielmehr sind andere Kriterien, insbesondere die der Vorsätzlichkeit des Handelns eines solchen Betreibers zu berücksichtigen. Es sei zu prüfen, ob der Betreiber „in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens“ tätig wird. Der bloße Umstand, dass der Betreiber allgemein Kenntnis von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform hat, genügt nicht, um anzunehmen, dass er mit dem Ziel handelt, den Internetnutzern Zugang zu diesen Inhalten zu verschaffen. Anders verhält es sich erst, wenn der Betreiber, geschützte Inhalte trotz Hinweis nicht unverzüglich entfernt. Der Umstand, dass YouTube in Gewinnerzielungsabsicht handelt, ändert daran nichts.

YouTube kontrolliert zwar nicht vorab, informiert die Nutzer jedoch sowohl in den AGB als auch bei jedem Upload über das Verbot, rechtsverletzende Inhalte einzustellen, und sperrt Accounts, die wiederholt dagegen verstoßen. Die eingerichteten technischen Maßnahmen (Meldebutton, Benachrichtigungsverfahren) lassen den Schluss zu, dass YouTube Urheberrechtsverletzung „glaubwürdig“ und wirksam bekämpft.

Der Rechtsansicht des EuGH folgend, kam der OGH daher auch in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass YouTube keine öffentliche Wiedergabe und damit auch keinen Eingriff in § 18a UrhG zu verantworten hat.

YouTube kann sich auf die Haftungsbefreiung des Art 14 Abs 1 Richtlinie 2000/31/EG (§ 16 ECG) berufen. Mangels Haftung ist der Unterlassungsanspruch unberechtigt.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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