EuGH-Entscheidung vom 11.4.2024, Rechtssache C‑723/22

 

Sachverhalt:

Eine deutsche Verwertungseinrichtung verklagte die Betreiberin eines Hotels. Dieser sollte die öffentliche Wiedergabe einer Folge einer Fernsehserie im Wege einer Funksendung durch Fernsehgeräte in den Gästezimmern sowie im Fitnessraum des Hotels untersagt werden, soweit das Funksignal den Fernsehgeräten mittels Koaxial- oder Datenkabel zugeführt wird.

Die von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ausgestrahlte Folge wurde von Hotelgästen angesehen, wobei das Funksignal den Geräten zeitgleich und unverändert über eine hoteleigene Kabelverteilanlage zugeleitet wurde. Für die Kabelweitersendung hatte die Beklagte umfassend Lizenzverträge mit den deutschen Verwertungsgesellschaften abgeschlossen. Die Verwertungseinrichtung machte ihrerseits geltend, dass der Lizenzvertrag die direkte und indirekte Weiterleitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen über eine Verteileranlage des betreffenden Hotels nicht abdecke.

Das Oberlandesgericht München legte das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Entscheidung:

Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass der Umstand, dass ein solcher Lizenzvertrag geschlossen wurde, für die Frage, ob die in Rede stehenden Weiterverbreitungen eine öffentliche Wiedergabe darstellen, unerheblich ist. Mit dem Bestehen eines solchen Vertrags lässt sich darlegen, ob eine solche Wiedergabe gestattet wurde.

Der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 (InfoRL  bzw UrhRil) ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Wie der EuGH bereits festgestellt hat, vereint dieser Begriff zwei kumulative Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe eines Werks und seine öffentliche Wiedergabe. Der Nutzer nimmt eine „Handlung der Wiedergabe“ vor, wenn er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das verbreitete Werk grundsätzlich nicht abrufen könnten.

Der EuGH wies darauf hin, dass der Begriff „Öffentlichkeit“ eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten umfasst und im Übrigen recht viele Personen voraussetzt. Für eine Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ ist erforderlich, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines besonderen technischen Verfahrens, das sich von den bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein „neues Publikum“ wiedergegeben wird, dh für ein Publikum, an das der Rechtsinhaber nicht bereits gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte.

Im vorliegenden Fall war zu berücksichtigen, dass der Betreiber eines Hotels eine Handlung der Wiedergabe iSd Art. 3 vornimmt, wenn er geschützte Werke absichtlich an seine Kunden überträgt, indem er willentlich ein Signal über Fernseh- oder Radioempfänger verbreitet, die er in diesem Hotel installiert hat. Der EuGH hat bereits entschieden, dass die Gäste eines Hotels eine unbestimmte Zahl potenzieller Leistungsempfänger darstellen. Diese sind als „Öffentlichkeit“ anzusehen. Wenn der Betreiber eines Hotels ein geschütztes Werk absichtlich an seine Gäste überträgt, indem er willentlich ein Signal über Fernseh- oder Radioempfänger verbreitet, wird er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig, um seinen Gästen Zugang zu diesem Werk zu verschaffen. Da die Übertragung als zusätzliche Dienstleistung anzusehen ist, die sich auf den Standard des Hotels und damit auf den Preis der Zimmer auswirkt, dient diese Handlung Erwerbszwecken.

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Bereitstellung von Fernsehgeräten in den Gästezimmern oder dem Fitnessraum eines Hotels eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn zusätzlich das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage an diese Geräte weitergeleitet wird.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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