OGH-Entscheidung vom 19.3.2024, 4 Ob 137/23k

 

Sachverhalt:

Die Klägerinnen sind Fernsehveranstalterinnen, die eine mit Sitz in Deutschland, die andere mit Sitz in Österreich. Die Beklagte bietet gegenüber gewerblichen Kunden (Netzbetreibern, Hotels, Stadien etc) individuelle IPTV-Komplettlösungen (Internet-Fernsehen im geschlossenen Netz) an. Diese umfassen neben Content-Leistungen auch einen Online-Videorecorder, der zeitversetztes Fernsehen ermöglicht. Aufnahmen durch den Online-Videorecorder erfolgen nur, wenn ein Endnutzer eine entsprechende Programmierung vornimmt. Im Hintergrund läuft ein Deduplizierungsverfahren, das bewirkt, dass bei übereinstimmender Programmierung von Aufzeichnungen für mehrere Kunden nicht mehrere Kopien der Sendungsinhalte erstellt werden, sondern nur eine. Die IPTV-Komplettlösung steht in zwei Varianten zur Verfügung, nämlich in Form einer On-Premises-Lösung sowie in Form einer selbstgehosteten Cloud-Lösung.

Im Rahmen der On-Premises-Lösung stellt die Beklagte Netzbetreibern Hard- und Software samt technischem Support bereit und schließt mit ihnen Rahmenvereinbarungen, wonach die Netzbetreiber die IPTV-Systemlösungen nutzen, um selbst oder für einen Vertragspartner IPTV-Services an Endkunden zu erbringen, und dabei für die Einholung der entsprechenden Kabelweitersendungsrechte und der Content-Rechte selbst zuständig sind.

Die von den Klägerinnen veranstalteten und gesendeten TV-Programme sind im Senderportfolio der Beklagten sowie diverser Netzbetreiber enthalten, die das IPTV-Produkt der Beklagten als On-Premises- oder als Cloud-Lösung nutzen. Die Beklagte gibt gegenüber ihren Kunden an, dass sie über direkte Lizenzvereinbarungen mit Sendergruppen verfügt. Die Klägerinnen haben zur Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt.

Die Klägerinnen beantragten die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach der Beklagten (grob zusammengefasst) die öffentliche Wiedergabe, Zurverfügungstellung sowie der Online-Videorecorder untersagt werden sollte.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag größtenteils statt. Die Klägerinnen hätten als Rundfunkunternehmerinnen gemäß § 76a Abs 1 UrhG ein Leistungsschutzrecht an ihrem jeweiligen Sendersignal und das ausschließliche Recht, Sendungen auf einem Bild- oder Schallträger festzuhalten, diese zu vervielfältigen oder zur öffentlichen Zurverfügungstellung zu benutzen. Das Rekursgericht änderte die von beiden Seiten angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es dem Sicherungsantrag zur Gänze stattgab. Der OGH befand den Revisionsrekurs der Beklagten für zulässig und teilweise berechtigt.

Zuvor war das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden:

Der EuGH entschied am 23.7.2023 (Link zur Entscheidung), dass ein von einem Online-Fernsehübertragungsbetreiber kommerziellen Kunden angebotener Dienst, der es über eine Cloud-Hosting-Lösung oder mittels der vor Ort zur Verfügung gestellten erforderlichen Hard- und Software und jeweils auf Initiative seiner Endnutzer ermöglicht, Sendungen fortlaufend oder gezielt aufzunehmen, nicht unter die Ausnahme vom ausschließlichen Recht der Urheber und Sendeunternehmen, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten, fällt, wenn die von einem ersten Nutzer, der eine Sendung ausgewählt hat, erstellte Kopie vom Betreiber einer unbestimmten Zahl von Nutzern, die denselben Inhalt ansehen möchten, zur Verfügung gestellt wird. Es ist keine „öffentliche Wiedergabe“, wenn ein Online-Fernsehübertragungsbetreiber seinem kommerziellen Kunden die erforderliche Hard- und Software zur Verfügung stellt sowie technische Unterstützung leistet, was es dem kommerziellen Kunden ermöglicht, seinen eigenen Kunden zeitversetzt Zugang zu Fernsehsendungen über das Internet zu gewähren, wobei dies auch dann gilt, wenn der Online-Fernsehübertragungsbetreiber Kenntnis davon hat, dass sein Dienst Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung ihrer Urheber ermöglicht.

Im österreichischen Sicherungsverfahren entschied nun der OGH.

Das Rekursgericht habe im Hinblick auf das Unterlassungsbegehren betreffend die öffentliche Wiedergabe der Fernsehprogramme vom Fortbestehen der Wiederholungsgefahr auszugehen. Die bloße Behauptung des Beklagten, von künftigen Störungen Abstand nehmen zu wollen, reiche zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht aus.

Das Unterlassungsbegehren betreffend die Zurverfügungstellung von Diensten und/oder Produkten, mit denen es den Kunden der Beklagten oder deren Kunden ermöglicht wird, die Fernsehprogramme der Klägerinnen öffentlich wiederzugeben, weiter zu senden und/oder zur Verfügung zu stellen (On-Premises-Angebote der Beklagten), wurde vom OGH abgewiesen, weil keine öffentliche Wiedergabe der Fernsehprogramme durch die Beklagte vorliegt. Eine öffentliche Wiedergabe liegt nicht vor, wenn ein Anbieter wie die Beklagte den Endnutzern keinen Zugang zu einem geschützten Werk gewährt. Der Dienst der Beklagten kann in Ermangelung jeglicher Verbindung zwischen dem Anbieter der erforderlichen Hard- und Software und den Endnutzern nicht als eine von der Beklagten vorgenommene Handlung der Wiedergabe im Sinn von

Zum Online-Videorecorder (sowohl beim OTT-Angebot, als auch bei der On-Premises-IPTV-Lösung) hielt der OGH fest, dass bei dessen Betrieb aufgrund des technisch angewandten Deduplizierungsverfahrens bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung keine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt wird, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vorgenommen, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen. Wird bei einem Online-Videorecorder vom Betreiber bloß eine Kopie der Sendung erstellt und einer Mehrzahl von Nutzern Zugriff darauf gewährt („Deduplizierung“), ist die Vervielfältigung dem Betreiber zuzurechnen (vgl. auch DIESE Entscheidung im Blog). Im vorliegenden Fall macht die Beklagte den Nutzern die Mittel zur Entschlüsselung zugänglich. Somit ist im Bereich des Senderechts das Senden und Weitersenden von verschlüsselten Signalen eine zustimmungspflichtige Handlung.

Auch der EuGH hat in seinem Urteil klargestellt, dass ein von einem Online-Fernsehübertragungsbetreiber kommerziellen Kunden angebotener Dienst, der es über eine Cloud-Hosting-

Der OGH bestätigte daher die einstweilige Verfügung im Hinblick auf die öffentliche Wiedergabe der Fernsehprogramme sowie zum Online-Videorecorder. Abgewiesen wurde hingegen das Unterlassungsbegehren betreffend die Zurverfügungstellung.

 

Link zur Entscheidung

 

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