OGH-Entscheidung vom 22.9.2020, 4 Ob 149/20w

 

Sachverhalt:

Die Klägerinnen sind Fernsehveranstalter mit Sitz in Deutschland, die ihre Programme u.a. über Satelliten, Internet-Live-Stream sowie Apps für mobile Empfangsgeräte verbreiteten.

Die Beklagte ist eine österreichische Betreiberin eines Mobil-Kommunikationsnetzes. Sie bietet einen Dienst an, mit dem ihre Kunden in Echtzeit Fernsehprogramme auf TV-Geräten, einem PC oder einem mobilen Endgerät empfangen können. Die Beklagte bietet im Rahmen ihres TV-Angebots auch einen Online-Videorekorder an, der es den Kunden ermöglicht, Fernsehprogramme zeitentkoppelt zu konsumieren. Die von den Klägerinnen ausgestrahlten Fernsehprogramme sind im Portfolio des TV-Angebots der Beklagten enthalten.

Die Klägerinnen haben der Beklagten keine Zustimmung zur Weitersendung ihrer Fernsehprogramme oder für ihren Live-Streaming-Dienst erteilt. Die Klägerinnen machten daher vor Gericht Unterlassungsansprüche geltend, die sie auf das (Leistungsschutz-)Recht der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme stützten; gleichzeitig beantragten sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Die Beklagte biete mit ihrem TV-Angebot einen OTT-Streamingdienst an, zu dessen Zurverfügungstellung sie nicht berechtigt sei. Auch der Online-Videorekorder greife in das Vervielfältigungsrecht der Klägerinnen ein.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH befand den Revisionsrekurs der Beklagten zwar zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt. Aus der Begründung:

Der OGH stellte vorweg klar, dass sich die Klägerinnen als Rundfunkunternehmerinnen auf ihr ausschließliches Recht der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme (§§ 59a Abs 1, 76a Abs 1 UrhG) stützen. Hinsichtlich ihrer Fernsehprogramme sind sie die berechtigten (zuständigen) Rundfunkunternehmerinnen und machen hier Unterlassungsansprüche wegen Verletzung ihrer Urheberrechte bzw Leistungsschutzrechte geltend. Daraus folgt, dass den Klägerinnen das uneingeschränkte Verbotsrecht auch hinsichtlich der Weitersendung ihrer Fernsehprogramme zusteht.

Im Hinblick auf die Live-Streams über Internet (OTT-Dienste) führte der OGH aus, dass die Beklagte im Verfahren selbst zugestanden habe, dass sie in das Recht der Kabelweitersendung (§ 59a Abs 1 UrhG) der Klägerinnen eingreift. Eine Kabelweitersendung erfordert zunächst eine vorgelagerte Rundfunksendung, die zur Weitersendung übernommen wird. Dieses Merkmal ist hier erfüllt. Eine Kabelweitersendung muss zudem den Integralgrundsatz wahren. Dieser erfordert die gleichzeitige, vollständige und unveränderte Weitersendung des Programms. Auch diese Voraussetzungen sind erfüllt. Entsprechend der bisherigen Rsp des OGH erfordert eine Kabelweitersendung nach österreichischem Urheberrecht aufgrund des maßgebenden technologieneutralen Ansatzes nicht zwingend, dass das Signal tatsächlich über Kabel weitergeleitet wird.

Abgesehen davon liegt auch ein Eingriff in das Weitersenderecht nach § 76a Abs 1 UrhG vor. Das TV-Streaming über Internet ist eine Form der drahtgebundenen Weitersendung.

Zu dem angebotenen Online-Videorekorder entgegnete die Beklagte im Wesentlichen, dass keine Kabelweiterleitung vorliege, weil keine gleichzeitige Übertragung an den Nutzer stattfinde. Bei den mit dem Online-Videorekorder erstellten Kopien handle es sich überdies um Privatkopien. Der OGH kam diesbezüglich zu dem Ergebnis, dass mit dem Online-Videorekorder eine digitale Vervielfältigung der Fernsehprogramme der Klägerinnen vorgenommen wird, die unter § 15 Abs 1 UrhG fällt. Die Kopie der Programme ist der Beklagten zuzurechnen, daher kann sie sich als Unternehmerin von vornherein nicht auf die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG berufen. Für die Frage, wer die Vervielfältigung vornimmt, kommt es zudem nicht darauf an, wem das Speichermedium gehört. Bei dem von der Beklagten angewandten Verfahren der De-Duplizierung hat die Beklagte die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen, da die Speicherung (und Vervielfältigung) initiativ durch die Beklagte auf ihren Servern erfolgt. Der Nutzer hat nur ein Zugriffsrecht auf die Kopie. Im Anlassfall ist die Vervielfältigung der Fernsehsendungen der Klägerinnen im Rahmen des angewandten De-Duplizierungsverfahrens somit der Beklagten zuzurechnen.