EuGH-Entscheidung vom 21.3.2024, Rechtssache C-10/22

 

Sachverhalt:

LEA ist eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung, die italienischem Recht unterliegt und in Italien zur Vermittlung von Urheberrechten berechtigt ist. Jamendo ist eine seit 2004 in Italien tätige unabhängige Verwertungseinrichtung für Urheberrechte, die aber luxemburgischem Recht unterliegt.

LEA brachte beim vorlegenden Gericht, dem Tribunale ordinario di Roma (Gericht Rom, Italien), einen Unterlassungsantrag gegen Jamendo ein, der darauf gerichtet war, Jamendo aufzutragen, ihre in Italien ausgeübte Vermittlertätigkeit im Bereich des Urheberrechts einzustellen. LEA machte geltend, dass Jamendo diese Tätigkeit in Italien rechtswidrig ausübe, da sie erstens nicht in die Liste der in Italien zur Vermittlung von Urheberrechten berechtigten Organisationen eingetragen sei, zweitens die spezifischen Anforderungen des Decreto legislativo Nr. 35/2017 nicht erfülle und drittens unter Verstoß gegen Art. 8 dieses Decreto legislativo das Ministerium für Telekommunikation nicht vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit in Kenntnis gesetzt habe. Nach den italienischen Rechtsvorschriften sei diese Tätigkeit ausschließlich der italienischen Gesellschaft der Autoren und Verleger und den anderen dort genannten Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung wie der LEA vorbehalten, während die unabhängigen Verwertungseinrichtungen von diesem Bereich ausgeschlossen sind.

Das Tribunale ordinario di Roma legte das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH sollte entscheiden, ob die Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten (Richtlinie 2014/26/EU) Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für die unabhängigen Verwertungseinrichtungen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat generell und kategorisch die Möglichkeit ausschließen, im erstgenannten Mitgliedstaat ihre Dienstleistungen zu erbringen.

 

Entscheidung:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte fest, dass die nationalen italienischen Rechtsvorschriften den freien Dienstleistungsverkehr einschränken. Diese Vorschriften verbieten unabhängigen Verwertungseinrichtungen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat, ihre Dienstleistungen zur Wahrnehmung von Urheberrechten in Italien anzubieten. Obwohl diese Beschränkung grundsätzlich mit dem Ziel des Schutzes geistigen Eigentums gerechtfertigt werden kann, ist sie nicht verhältnismäßig, da sie allen unabhängigen Verwertungseinrichtungen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat pauschal den Zugang zum Markt in Italien verwehrt. Der EuGH betonte, dass das angestrebte Ziel auch durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, die den freien Dienstleistungsverkehr weniger beeinträchtigen. Daher entschied der EuGH, dass die beanstandeten italienischen Rechtsvorschriften nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

 

 

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