EuGH-Urteil vom 22.1.2015, Rechtssache C‑419/13

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine niederländische Verwertungsgesellschaft von Urheberrechten, die die Interessen der ihr angeschlossenen Urheberrechtsinhaber wahrnimmt.

Die Beklagte bietet über ihre Websites Poster und andere Reproduktionen von Werken berühmter Maler an, deren Urheberrechte die Klägerin verwertet. Die Beklagte bietet ihren Kunden u. a. Reproduktionen in Form von Postern, gerahmten Postern, Postern auf Holz oder auf Leinwand an. Im letztgenannten Fall wird das gewünschte Bild unter Einsatz eines chemischen Verfahrens vom Papier auf die Leinwand übertragen („Leinwandtransfer“).

Die Klägerin ging schließlich gerichtlich dagegen vor, dass Reproduktionen urheberrechtlich geschützter Werke in Form von Leinwandtransfers ohne Zustimmung der ihr angeschlossenen Urheberrechtsinhaber verkauft werden.

Nach Erschöpfung des innerstaalichen Instanzenzuges in den Niederlanden, beschloss der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren auszusetzen und legte dem EuGH (zusammengefasst) die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die in Art. 4 Abs. 2 der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29 aufgestellte Regel der Erschöpfung des Verbreitungsrechts anwendbar ist, wenn das Trägermedium einer in der Union mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachten Reproduktion eines geschützten Werks eine Änderung, etwa durch Übertragung der Reproduktion von einem Papierposter auf eine Leinwand, erfahren hat und in ihrer neuen Form erneut in Verkehr gebracht wurde.

Entscheidung:

Der EuGH stellte zunächst fest, dass die Erschöpfung des Verbreitungsrechts auf ein geschütztes Werk oder dessen Vervielfältigungsstück verkörpernden Gegenstand Anwendung findet, wenn er mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebracht wurde. Der EuGH prüfte daher in einem zweiten Schritt, ob sich der Umstand, dass der mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachte Gegenstand anschließend Änderungen seines Trägermaterials erfahren hat, auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts auswirkt.

Im Ausgangsverfahren besteht die Änderung darin, dass die Abbildung eines Kunstwerks auf einem Papierposter mittels des beschriebenen Verfahrens auf eine Leinwand übertragen wurde, so dass der Träger aus Papier durch eine Leinwand ersetzt wurde. Nach den Angaben der Parteien des Ausgangsverfahrens führt diese Technik zu einer langlebigeren Reproduktion, einer Verbesserung der Qualität des Bildes im Vergleich zum Poster und einer stärkeren Annäherung des Ergebnisses an das Original des Werks. Eine solche Änderung des Vervielfältigungsstücks des geschützten Werks, die das Ergebnis stärker dem Original annähert, kann der Sache nach eine neue Reproduktion dieses Werks im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 darstellen, die vom ausschließlichen Recht des Urhebers erfasst wird und seiner Erlaubnis bedarf.

Folglich erstreckt sich die Zustimmung des Urheberrechtsinhabers nicht auf die Verbreitung eines sein Werk verkörpernden Gegenstands, wenn dieser Gegenstand nach seinem erstmaligen Inverkehrbringen in einer Weise verändert wurde, dass er eine neue Reproduktion des Werks darstellt. In einem solchen Fall erschöpft sich das Recht zur Verbreitung des Gegenstands erst, wenn der Erstverkauf dieses neuen Gegenstands oder die erstmalige Übertragung des Eigentums an ihm mit Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgt ist. Aus dem Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens ergibt sich aber, dass die Urheberrechtsinhaber der Verbreitung der Leinwandtransfers zumindest nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Daher nähme ihnen die Anwendung der Erschöpfungsregel auf das Verbreitungsrecht die Möglichkeit, die Verbreitung dieser Gegenstände zu verbieten oder, im Fall der Verbreitung, für die gewerbliche Verwertung ihrer Werke eine angemessene Vergütung zu verlangen. Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine solche Vergütung, um angemessen zu sein, in vernünftigem Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Verwertung des geschützten Gegenstands stehen muss. In Bezug auf die Leinwandtransfers ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unstreitig, dass ihr wirtschaftlicher Wert den der Poster erheblich übersteigt.

Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage letztendlich dahingehend, dass Art. 4 Abs. 2 der (Urheberrechts-)Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Regel der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht anwendbar ist, wenn das Trägermedium einer in der Union mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachten Reproduktion eines geschützten Werks, etwa durch Übertragung der Reproduktion von einem Papierposter auf eine Leinwand, ersetzt und sie in ihrer neuen Form erneut in Verkehr gebracht wurde.