OGH-Entscheidung vom 29.7.2025, 2 Ob 38/25i

 

Sachverhalt:

Eine Witwe machte im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem 2017 verstorbenen Ehemann Ansprüche aus dem gesetzlichen Vorausvermächtnis nach § 745 Abs 1 ABGB geltend. Sie begehrte die Herausgabe von Wohnungsinventar, die Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts sowie die Übertragung eines PKW.

Im Mittelpunkt des Streits stand die umfangreiche Kunstsammlung des Verstorbenen: Über hundert Gemälde und Skulpturen waren in der Ehewohnung aufgehängt oder gelagert, daneben befanden sich zahlreiche Objekte angewandter Kunst, Möbel und eine Fachbibliothek zu den gesammelten Werken. Der Verstorbene war ein in der Wiener Szene bekannter Kunstkenner, der regelmäßig Vernissagen in seiner Wohnung veranstaltete, Werke verlieh und durch An- und Verkäufe Gewinne erzielte.

Die Witwe argumentierte, sämtliche Kunstwerke und die Bibliothek seien Teil des Haushalts gewesen: Sie hätten die Wohnung geprägt, seien dekorativ und teils auch als Gebrauchsgegenstände genutzt worden. Auch wertvolle Gegenstände könnten nach § 745 ABGB vom Vorausvermächtnis umfasst sein.

Dem hielten die Verlassenschaft und zwei Kinder des Erblassers entgegen, dass die Kunstsammlung überwiegend Wertanlagecharakter gehabt habe und damit nicht „zur Fortführung des Haushalts“ erforderlich sei.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach der klagenden Witwe das Wohnrecht, den PKW und die üblichen Einrichtungsgegenstände zu, wies aber das Begehren hinsichtlich der Kunstsammlung und Bibliothek ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung weitgehend. Der OGH wies die Revision der Witwe ab.

Der Oberste Gerichtshof stellte in seiner Entscheidung klar, dass das gesetzliche Vorausvermächtnis nach § 745 ABGB nur jene beweglichen Sachen umfasst, die sowohl zum ehelichen Haushalt gehören als auch zur Fortführung des Haushalts entsprechend den bisherigen Lebensverhältnissen erforderlich sind. Kunstwerke können zwar grundsätzlich Teil des Vorausvermächtnisses sein, wenn sie in der Wohnung tatsächlich zur Dekoration oder zum Gebrauch verwendet wurden. Tritt jedoch die Funktion als Wertanlage oder als Bestandteil einer vom Erblasser angelegten Sammlung so deutlich in den Vordergrund, dass die dekorative Wirkung nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt, fehlt es am erforderlichen Haushaltsbezug. Ob Kunstgegenstände daher in das Vorausvermächtnis fallen, ist stets im Einzelfall zu prüfen und hängt entscheidend davon ab, ob sie tatsächlich Teil der gemeinsamen Lebensführung als Ehepaar waren oder ob sie primär den persönlichen, wirtschaftlichen Interessen des Verstorbenen dienten.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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