OGH-Entscheidung vom 27.6.2023, 2 Ob 106/23m

 

Sachverhalt:

Der 2020 verstorbene Erblasser setzte seine Tochter mit fremdhändigem Testament zur Alleinerbin ein. Wenige Tage vor seinem Tod errichtete der (schwerkranke, aber testierfähige) Erblasser ein weiteres, notarielles Testament in Form eines Notariatsakts, in dem er sämtliche früheren Verfügungen widerrief und seine Ehefrau zur Alleinerbin machte. Im Notariatsakt wurde festgehalten, dass der Erblasser schreibunfähig sei und wegen einer Lähmung auch kein Handzeichen setzen könne. Bei Testamentserrichtung war die rechte Hand des Erblassers zwar nicht vollständig gelähmt, aber kraftlos. Tatsächlich hätte der Erblasser aber mit der linken Hand zumindest eine Paraphe oder ein Handzeichen in Form von drei Kreuzen setzen können.

Die zuerst als Alleinerbin eingesetzte Tochter erachtete das spätere Testament als formungültig, weil der Erblasser den Notariatsakt nicht unterfertigt habe, obwohl er schreibfähig oder zumindest in der Lage gewesen sei, ein Handzeichen zu setzen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht stellte das Erbrecht der Tochter fest und wies die Erbantrittserklärung der Ehefrau ab, weil das spätere Testament mangels Einhaltung der Formvorschrift des § 68 Abs 1 lit g NO ungültig sei. Da der Erblasser dazu in der Lage gewesen sei, hätte er zumindest ein Handzeichen setzen müssen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Ehefrau Folge. Der OGH gab jedoch dem Revisionsrekurs der Tochter Folge und stellte die Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

Das ABGB kennt mehrere Arten zulässiger letztwilliger Verfügungen. Dazu zählt auch die Errichtung einer letztwilligen notariellen Anordnung. Die Einhaltung der Form gehört zum objektiven Tatbestand der letztwilligen Verfügung. Sie muss daher nicht gewollt, aber erfüllt sein.

Im konkreten Fall lag eine letztwillige Verfügung in Form eines unmittelbar vom Notar errichteten und aufgenommenen Notariatsakts vor. Jeder Notariatsakt hat die Unterschriften der Parteien zu enthalten. Kann eine Partei nicht schreiben, so muss sie bei der Fertigung ihr Handzeichen beifügen und es muss der Name der Partei von einem Zeugen oder dem zweiten Notar beigesetzt werden. Kann eine Partei auch ein Handzeichen nicht beifügen, so muss das entgegenstehende Hindernis ausdrücklich angeführt und von den Zeugen besonders bestätigt werden.

Schreibunfähigkeit liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unterschrift schlechthin unmöglich ist, sondern schon dann, wenn dem Erblasser eine Unterschrift nur unter solcher Anstrengung möglich wäre, dass es ihm billigerweise nicht zugemutet werden kann. Im Hinblick auf den drohenden Solennitätsverlust und die nur unter bestimmten Voraussetzungen eröffnete Möglichkeit, Handzeichen zu setzen bzw auch auf dieses zu verzichten, besteht keine „Wahlfreiheit“ des Erblassers.

Der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 68 Abs 1 lit g NO stellt auf das (objektive) Vorliegen von Schreibunfähigkeit bzw Unfähigkeit, auch nur ein Handzeichen zu setzen, und nicht auf die Angaben der Partei gegenüber dem Notar ab. Inwieweit der Notar allenfalls zur Überprüfung der Angaben verhalten ist, spielt bei der Beurteilung der Formgültigkeit keine Rolle.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts konnte der Erblasser seine linke Hand normal bedienen und einsetzen. Eine Paraphe oder die Beifügung von drei Kreuzen wäre ihm (mit dieser) möglich gewesen. Wurde die Form nicht gewahrt, so führt dies gemäß § 601 ABGB selbst bei klarem und eindeutig erweisbarem Willen des Erblassers zur Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung. Mangels Einhaltung der zwingenden Formvorschrift ist die letztwillige Verfügung ungültig, mag das Testament auch dem wahren Willen des Erblassers entsprochen haben. Maßgeblich ist nur der gültig erklärte Wille.

Der OGH stellte daher die Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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