OGH-Entscheidung vom 30.5.2022, 2 Ob 63/22m

 

Sachverhalt:

Der verstorbene Erblasser schloss vor seinem Tod mit seiner Ehefrau einen „Erbvertrag samt Testament“ in Notariatsaktsform ab. Nach dessen Inhalt setzen die Eheleute einander wechselseitig als Erben ein. Der Notariatsakt trägt die Unterschriften des Erblassers und seiner Ehefrau sowie der zwei Zeuginnen (jeweils mit dem handschriftlichen Zusatz „als Akts- und Testamentszeugen“), enthält aber keine handschriftliche Nuncupatio (= Bekräftigung, dass es sich um den letzten Willen handelt) des Erblassers.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gingen von der Formungültigkeit des Erbvertrags aus. Der OGH befand den außerordentlichen Revisionsrekurs der Ehefrau für zulässig und berechtigt:

Die öffentliche Form des notariellen Testaments hat durch § 583 ABGB erstmals in den Gesetzestext des ABGB Eingang gefunden. Nach dem mit der Überschrift „notarielle Verfügung“ überschriebenen § 583 ABGB kann eine letztwillige Verfügung vor zwei Notaren oder vor einem Notar und zwei Zeugen schriftlich oder mündlich errichtet werden. Die Errichtung einer letztwilligen notariellen Anordnung ist sowohl in Protokollform (§ 70 NO) als auch in Notariatsaktsform (§ 67 NO) möglich. Es ist damit zwischen zwei Arten notarieller Testamente zu differenzieren, wobei ein Notariatsakt wiederum zwei Erscheinungsformen aufweisen kann: Einerseits kann das Rechtsgeschäft unmittelbar als Notariatsakt errichtet und durch den Notar aufgenommen werden, andererseits kann auch eine von den Parteien bereits errichtete Privaturkunde in Form einer Solemnisierung nach § 54 NO notariell „bekräftigt“ werden.

Im vorliegenden Fall stellte sich die Frage, ob ein vor einem Notar in Notariatsaktsform errichtetes schriftliches Testament bzw ein Erbvertrag (auch) den Anforderungen des § 579 ABGB idF ErbRÄG 2015 entsprechen muss und sohin eine eigenhändige Nuncupatio des Erblassers erfordert. Rechtsprechung zu dieser Frage fehlte bislang.

Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass bei Errichtung einer notariellen letztwilligen Verfügung – unabhängig davon, ob diese in Form eines Notariatsakts, bei dem das Rechtsgeschäft unmittelbar als solcher errichtet wird, oder eines notariellen Protokolls nach §§ 70 ff NO erfolgt – keine eigenhändige Nuncupatio des Erblassers iSd § 579 ABGB erforderlich ist.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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