OGH-Entscheidung vom 15.5.2014, 6 Ob 168/13v

Sachverhalt:

1956 schlossen der Erblasser und seine Witwe einen Erbvertrag mit wechselseitigem Testament, mit welchem für den Fall des Todes eines der beiden Ehegatten letztwillige Verfügungen getroffen wurden. Diese sollten hinsichtlich dreier Vierteile ihres Vermögens als Erbvertrag und somit einseitig nicht widerruflich, hinsichtlich des der freien letztwilligen Verfügung vorbehaltenden Nachlassviertels jedoch als wechselseitiges Testament gelten.

2005 wurde vom Erblassen zudem ein handschriftliches Testament verfasst, in welchem dieser seinen Sohn als Universalerben einsetzte und anführte, dass dieser somit seinen gesamten Besitz, Schloss und Gut, Grundstücke etc. nach seinem Tod erhalten solle.

Beim Erblasser handelte es sich um einen überdurchschnittlich wertkonservativen Menschen mit einem besonders weitreichenden Sinn für Familientradition und Werterhaltung innerhalb der Familie. Der größte und wichigste Wunsch des Erblassers war es gewesen, das Vermögen in der Familie zu behalten; der Erblasser hatte stets in Generationen gedacht, und dass das Ganze wie eine Kette immer weitergeht.

2007 verstarb der Erblasser und der Sohn gab im Verlassenschaftsverfahren eine Erbantrittserklärung ab.

2009 wurde über sein Vermögen des Sohnes ein Konkursverfahren eröffnet.

Der Erblasser hatte zwar von finanziellen Schwierigkeiten seines Sohnes gewusst, aber keinesfalls in dem Umfang, in dem sie sich erst nachher herausgestellt hatten, nämlich, dass dadurch das gesamte an den Sohn testierte Familienerbe verwertet werden würde.

Die Witwe machte im Verfahren einen Motivirrtum geltend und argumentierte, dass der Erblasser den Sohn nicht testamentarisch bedacht hätte, wenn von den Vermögensverhältnissen des Sohnes, nämlich dem Konkurs, gewusst hätte. Der Erblasser hätte stattdessen das Vermögen gleich an den Enkel übertragen.

Die Vorinstanzen folgten dieser Begründung und stellten im Verfahren über das Erbrecht die erblasserische Witwe als Alleinerbin fest. Gegen diese Entscheidung erhob der Masseverwalter außerordentlichen Revisionsrekurs.

Entscheidung:

Der OGH gab dem Revisonsrekurs des Masseverwalters teilweise Folge.

Zunächst entschied der OGH, dass die Witwe zu drei Viertel Erbin ist, da der Erbvertrag aus dem Jahr 1956 gültig zustande gekommen ist und auch nicht aufgelöst wurde.

Hinsichtlich des vom Erbvertrag nicht erfassten Viertels war zu prüfen, ob der Erblasser mit seinem Testament aus dem Jahr 2005 den Sohn gültig als Erben eingesetzt hat. Die Witwe verneinte dies und beruft sich auf einen wesentlichen Irrtum des Erblassers; der demnach wohl eine  anderweitige Verfügung getroffen hätte, wenn er vom späteren Konkursverfahren des Sohnes gewusst hätte.

Nach §§ 570 bis 572 ABGB macht ein wesentlicher Irrtum des Erblassers die Anordnung ungültig. Der Irrtum ist wesentlich, wenn der Erblasser die Person, welche er bedenken, oder den Gegenstand, welchen er vermachen wollte, verfehlt hat. Auch wenn der vom Erblasser angegebene Beweggrund falsch befunden wird, bleibt die Verfügung gültig, es wäre denn erweislich, dass der Wille des Erblassers einzig und allein auf diesem irrigen Beweggrund beruht habe. Nach Lehre und Rechtsprechung können auch Motivirrtümer über Zukünftiges erheblich sein. Nach ständiger Rechtsprechung des OGH macht ein Irrtum im Beweggrund die Verfügung jedoch nur dann ungültig, wenn erweislich ist, dass der Wille des Erblassers „einzig und allein“ darauf beruhte.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hätte der Erblasser im Jahr 2005 seinen Sohn nicht testamentarisch bedacht, sondern das Vermögen gleich an den Enkel übertragen, hätte er von den Vermögensverhältnissen seines Sohnes gewusst. Diese Feststellungen betreffen den – wesentlichen und Zukünftiges betreffenden – Irrtum des Erblassers, sagen jedoch wenig über das nach § 572 ABGB maßgebliche Motiv der Testamentseinsetzung aus. Der Masseverwalter hätte in diesem Zusammenhang nicht unzutreffend darauf hingewiesen, dass wohl jedermann eher seinen Besitz in der Familie erhalten als Gläubiger befriedigen will.

Im Übrigen war der erblasserische Sohn bereits einige Jahre vor der Testamentserrichtung durch den Erblasser in ein Konkursverfahren verwickelt, von dem dieser auch wusste. Es mag zwar sein, dass das weitere Konkursverfahren bei Errichtung der letztwilligen Verfügung für den Erblasser nicht „absehbar“ war, aber es war der Erblasser bekannt, dass sein Sohn den ihm zur Beseitigung des ersten Konkursverfahrens eingeräumten Kredit von 300.000 EUR nur zu einem geringen Teil zurückgezahlt hatte, er somit keineswegs von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen des Sohnes ausgehen konnte.

Bei Beurteilung des Motivs „Erhalt des Familienvermögens in der Familie“ ist im Übrigen auch zu beachten, dass der Erblasser bereits die übrigen Kinder bedacht hatte und durch das Testament sein Sohn den Rest bekommen sollte. Verfügt ein Erblasser nur über eine Familie im traditionellen Sinn – bestehend aus einem Ehegatten und ehelichen Kindern – und bedenkt er ausschließlich Mitglieder dieser Familie, dann kommt dem Motiv „Erhalt des Vermögens in der Familie“ keine eigenständige Bedeutung zu. In diesem Sinn dient dann nämlich jedes Familientestament dem Erhalt des Vermögens in der Familie.

Damit ist es der Witwe nicht gelungen, ein maßgebliches, beachtliches Motiv des Erblassers im Sinn des § 572 ABGB für sein Testament aus dem Jahr 2005 darzustellen. Das Testament aus dem Jahr 2005 ist somit hinsichtlich jenes Viertels, über welches der Erblasser trotz Erbvertrags verfügen konnte, gültig. Der Sohn ist in diesem Ausmaß testamentarischer Erbe.

 

 

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