OGH-Entscheidung vom 26.4.2022, 2 Ob 29/22m

 

Sachverhalt:

Im Jahr 2018 verstarb ein Mann und hinterließ mehrere letztwillige Verfügungen.  Kurz vor seinem Tod unterfertigte der Erblasser ein fremdhändiges (nicht handgeschriebenes) Testament, mit dem er sämtliche früheren letztwilligen Verfügungen widerrief und die Antragsteller in diesem Verfahren als Erben einsetzte. Ein Notar nahm an diesem Tag einen Hausbesuch beim Erblasser vor. Der Notar nahm zum Termin einen (vorbesprochenen) Testamentsentwurf mit, der aus zwei losen, mit auf dem Computer geschriebenem Text bedruckten Blättern bestand. Der Text gliederte sich in fünf mit römischen Ziffern gekennzeichnete Abschnitte. Der letzte Absatz auf der Rückseite des ersten Blatts lautete:

Vorstehendes Testament, welches mir in gleichzeitiger und ununterbrochener Gegenwart der drei ersuchten Zeugen […] des letzten Willens vorgelesen wurde, habe ich meinem letzten Willen entsprechend vollinhalt-

Auf dem zweiten Blatt wird der Text wie folgt fortgesetzt:

lich anerkannt und sodann eigenhändig vor ihnen und unter deren Mitfertigung unterschrieben.“

Danach folgen die Angabe von Ort und Datum, die handschriftliche Nuncupatio des Erblassers und dessen Unterschrift sowie die Unterschriften der drei Testamentszeugen samt handschriftlichem Zeugenzusatz. Das Testament bestand zum Zeitpunkt der Unterfertigung durch den Erblasser und die Zeugen nach wie vor aus zwei losen Blättern. Im Notariat wurde noch am selben Tag zeitnah eine Kopie des Testaments angefertigt. Danach wurden die beiden losen Blätter des Originaltestaments mit einer rot-weiß-roten „Bundesschnur“ zusammengenäht. Die beiden Enden der Schnur wurden auf der Rückseite des Testaments mit einer weißen Klebevignette angeklebt. Irrtümlich wurde auf dieser Vignette keine Stampiglie des Notars angebracht.

Im folgenden Gerichtsverfahren wurde die Formgültigkeit des Testaments angezweifelt.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen verneinten übereinstimmend das Vorliegen einer äußeren Urkundeneinheit, weil die Vernähung der beiden losen Blätter nicht uno actu mit der Errichtung des Testaments erfolgt sei. Hingegen bejahten sie das Vorliegen der inneren Urkundeneinheit, weil bei einem fortlaufenden Text ein ausreichend enger inhaltlicher Zusammenhang vorliege. Der OGH gab dem Revisionsrekurs des Erstantragstellers Folge:

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats setzt die Bejahung der Formgültigkeit eines aus mehreren Blättern bestehenden fremdhändigen Testaments entweder das Vorliegen einer äußeren oder inneren Urkundeneinheit voraus. Ein äußerer Zusammenhang ist nur dann zu bejahen, wenn entweder vor der Leistung der Unterschriften von Erblasser und Zeugen oder während des Testiervorgangs (das heißt uno actu mit diesem – also in unmittelbarem Anschluss daran) die äußere Urkundeneinheit hergestellt wurde, indem die einzelnen Bestandteile der Urkunde (die losen Blätter) so fest miteinander verbunden wurden, dass die Verbindung nur mit Zerstörung oder Beschädigung der Urkunde gelöst werden kann, wie zB beim Binden, Kleben oder Nähen der Urkundenteile.

Für die Herstellung der inneren Urkundeneinheit zwischen den mehreren losen Blättern kann nach dieser Rechtsprechung neben der Fortsetzung des Texts auch ein – vom Testator unterfertigter – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung ausreichen. Diese Bezugnahme muss allerdings inhaltlicher Natur sein.

In früheren Entscheidungen des Senats zur Formgültigkeit eines fremdhändigen Testaments hat dieser das Bestehen innerer Urkundeneinheit stets verneint. In keiner dieser Entscheidungen erfolgte eine konkrete Prüfung unter dem Aspekt der „Textfortsetzung“.

Im vorliegenden Fall kam der OGH zu dem Ergebnis, dass die Bejahung der ausreichenden inneren Urkundeneinheit bei nicht handschriftlich verfassten fremdhändigen letztwilligen Verfügungen einen – vom Testator unterfertigten – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung erfordert. Die bloße Fortsetzung des Texts genügt hingegen bei einer nicht handschriftlich verfassten fremdhändigen letztwilligen Verfügung nicht zur Herstellung innerer Urkundeneinheit. Wenn also ein fremdhändiges (dh nicht handgeschriebenes) Testament aus mehreren losen Blättern besteht, dann genügt die bloße Fortsetzung des Texts nicht zur Herstellung innerer Urkundeneinheit.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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