OLG Wien-Entscheidung vom 11.2.2025, 33 R 150/24g
Sachverhalt:
Die Klägerin entwickelt Software und ist Herstellerin eines ERP-Systems. Ein ERP-System ist ein Warenwirtschaft-Software-System, das in Unternehmen die Prozesse vom Einkauf, über die Lagerung bis hin zum Verkauf eines Artikels führen kann. Die Klägerin schloss mit der beklagten Ladenbaufirma einen Vertrag über die Lieferung und Anpassung eines ERP-Systems. Dieses sollte Standardmodule (Einkauf, Verkauf, Produktion, Lager, Auswertungen) enthalten sowie durch individuelles Customizing und Zusatzmodule an die Geschäftsprozesse der Beklagten angepasst werden.
Der Gesamtpreis setzte sich aus einem Software-Grundpaket (EUR 75.960 netto), Zusatzmodulen, Arbeitsplatzlizenzen sowie stundenbasierter Abrechnung für Anpassungen und Erweiterungen zusammen.
Während der Projektumsetzung kam es zu Verzögerungen und funktionalen Mängeln. Standardfunktionen und kundenspezifische Anpassungen funktionierten bei Schulungen nicht. Die Beklagte erklärte den Rücktritt, und letztlich einigten sich beide Parteien auf eine Vertragsauflösung mit der Verpflichtung der Beklagten, die Software zu deinstallieren und nicht weiter zu nutzen.
Die Beklagte deinstallierte die Software zunächst nicht. In drei Monaten nutzte ein Lagermitarbeiter die Lagerfunktion der Software noch 22 Mal, um Lagerstandsinformationen auszulesen; die einzige funktionierende Funktion des Systems. Ein produktiver Einsatz war nicht möglich; ein Testbetrieb hatte nie begonnen.
Die Klägerin forderte daraufhin EUR 210.520, bestehend aus einem angemessenen Entgelt für die Nutzung zuzüglich Schadenersatz nach der Lizenzanalogie (§ 86 und § 87 Abs 3 UrhG). Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Nutzung marginal gewesen sei und das vereinbarte Lizenzentgelt für ein voll funktionsfähiges System nicht herangezogen werden könne.
Entscheidung:
Das Erstgericht sprach lediglich EUR 1.356,30 zu, da nur ein sehr kleiner Teil einer fehlerhaften Testversion genutzt wurde. Die Klägerin legte dagegen Berufung ein. Das OLG Wien wies die Berufung der Klägerin ab.
Nach Ansicht des Gerichts lag zwar ein Eingriff in das ausschließliche Verwertungsrecht der Klägerin gemäß § 40a UrhG vor, da die Beklagte die Software nach der Auflösungsvereinbarung weiterhin unberechtigt nutzte. Entscheidend für die Höhe des zugesprochenen Betrags war jedoch die Frage, welches angemessene Entgelt für diese Nutzung zu zahlen war. Maßgeblich sei nach der Rechtsprechung, was redliche und vernünftige Parteien für eine vergleichbare Nutzung vereinbart hätten. Das ursprünglich vereinbarte Lizenzentgelt für ein voll funktionsfähiges ERP-System konnte daher nicht als Grundlage herangezogen werden, weil die Beklagte lediglich die Lagerfunktion einer fehlerhaften Testversion nutzte, während alle anderen wesentlichen Module nicht funktionsfähig waren.
Da in den vertraglichen Beziehungen der Parteien kein Anhaltspunkt für die Höhe des angemessenen Entgelts zu finden war, war gegen die Festsetzung des angemessenen Entgelts nach § 273 ZPO nichts einzuwenden. Dabei wurde berücksichtigt, dass nur ein sehr geringer Funktionsumfang (35 % der Gesamtsoftware, davon 25 % Lagerfunktion und 10 % Stammdaten) für einen kurzen Zeitraum von zehn Wochen zur Verfügung stand. Daraus ergab sich ein angemessenes Entgelt von EUR 739,80 brutto, das nach § 87 Abs. 3 UrhG zu verdoppeln war, woraus sich der zugesprochene Betrag von EUR 1.356,30 ergab.
Auch die Kostenentscheidung des Erstgerichts bestätigte das OLG. Bei einer Klageforderung von EUR 201.520 und einem Obsiegen von nur rund 0,67 % liege eine gravierende Überklagung vor, sodass das Kostenprivileg des § 43 Abs. 2 zweiter Satz ZPO nicht anwendbar sei. Die Beklagte sei nur geringfügig unterlegen und habe daher Anspruch auf vollen Kostenersatz.
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