OGH-Entscheidung vom 10.12.2020, 4 Ob 182/20y

 

Sachverhalt:

Das klagende Unternehmen entwickelt und vertreibt Software für medizinische oder gesundheitsbezogene Betriebe. Der Beklagte entwickelte ebenfalls Software und brachte sein Know-How in eine von ihm mitbegründete GmbH ein, deren Geschäftsführer er war. 2018 schloss diese GmbH einen Kooperationsvertrag mit der Klägerin. Für den Fall des Eintritts bestimmter Umstände wurde der Klägerin das Recht eingeräumt, den Quellcode der Software um einen bereits bestimmten Betrag ausgefolgt zu erhalten und danach die Vertragssoftware unwiderruflich und unbegrenzt in jeder Hinsicht selbst zu verwerten.

Nach seinem Ausscheiden aus der GmbH, teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er an der GmbH kein Interesse mehr habe und alle weiteren Gespräche künftig mit seiner Ex-Gattin zu führen seien. Diese sei nunmehr alleinige Gesellschafterin und auch Geschäftsführerin der GmbH. In der Folge erwarb die Klägerin alle Produkte und Dienstleistungen der maßgeblichen Produktfamilie der GmbH.

Der Beklagte kündigte im Jahr darauf an, die Klägerin „angehen zu wollen“ und den Quellcode öffentlich und gratis ins Internet zu stellen und alle Kunden darüber zu informieren, dass sie die Dienstleistungen dazu von ihm sehr günstig bekommen würden. Er war der Ansicht, dass er der Entwickler und Urheber der Programme sei und folglich auch das Verfügungsrecht über deren Quellcode besitze. Er habe der GmbH kein Werknutzungsrecht eingeräumt, weshalb sie ein solches auch nicht an die Klägerin habe übertragen können. Die Klägerin besitze keinen Anspruch auf Unterlassung der Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses.

Die Klägerin beantragte daraufhin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag jedoch ab. Der OGH befand den Revisionsrekurs der Klägerin wiederum für zulässig und berechtigt.

Die Klägerin berief sich auf § 40b UrhG, wonach dem Dienstgeber an einem von einem Dienstnehmer in Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten geschaffenen Computerprogramm ein unbeschränktes Werknutzungsrecht zusteht, wenn er mit dem Urheber nichts anderes vereinbart hat. Da Organe juristischer Personen keine Dienstnehmer im Sinne dieser Norm sind, war § 40b UrhG jedoch nicht anwendbar.

Der OGH stimmte jedoch der Klägerin in ihrer Argumentation zu, wonach der Beklagte durch sein Verhalten als Geschäftsführer der GmbH dieser schlüssig ein Werknutzungsrecht eingeräumt habe, indem er durch den Abschluss der Verträge zum Ausdruck gebracht habe, dass die GmbH befugt sei, gegenüber Dritten über die Software und den Quellcode frei zu verfügen. Der OGH hielt insofern fest, dass ein Werknutzungsrecht auch schlüssig eingeräumt werden kann und betonte, bereits in früheren Entscheidungen ein schlüssig eingeräumtes Werknutzungsrecht des Gesellschafter-Geschäftsführers an „seine“ GmbH angenommen zu haben (siehe u.a. hier im Blog). Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Beklagte der GmbH das Werknutzungsrecht an der von ihm entwickelten Software (einschließlich des Quellcodes) übertragen hat. In den Verträgen wurde nicht nur festgehalten, dass die GmbH die Software am europäischen Markt „entwickelt, vertreibt und lizensiert“, sondern der Klägerin exklusive Vertriebsrechte für Österreich und Deutschland sowie ein Vorkaufsrecht hinsichtlich der Geschäftsanteile der GmbH eingeräumt wurden; weiters wurde die Hinterlegung des Quellcodes zugunsten der Klägerin und eine Kaufoption der Klägerin vereinbart. Ein solcher Übergang erfordert aber ein unbeschränktes Werknutzungsrecht. Auch der Hinweis, dass alle weiteren die strategische Partnerschaft der Unternehmen betreffenden Fragen mit seiner Ex-Frau zu besprechen seien, wären auf Grundlage eines befristeten Rechts unverständlich.

Zum Begehren auf Unterlassung der drohenden rechtswidrigen Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses durch dessen Offenlegung (§ 26f Abs 1 UWG), führte der OGH aus, dass der Quellcode eines Computerprogramms grundsätzlich ein Geschäftsgeheimnis iSd § 26b Abs 1 UWG sein kann. Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses ist nach § 26b Abs 2 UWG jede natürliche oder juristische Person, welche die rechtmäßige Verfügungsgewalt über ein Geschäftsgeheimnis besitzt. Rechtmäßig ist die Verfügungsgewalt, wenn das Geschäftsgeheimnis originär im Unternehmen des Inhabers entwickelt wurde; aber auch dann, wenn die Berechtigung vertraglich vom bisherigen Inhaber abgeleitet wird. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin von der GmbH alle von dieser entwickelten und hergestellten Produkte und Dienstleistungen der maßgeblichen Produktfamilie erworben. Die Klägerin kann somit ihre Berechtigung am Geschäftsgeheimnis vertraglich vom bisherigen Inhaber ableiten und besitzt damit die rechtmäßige Verfügungsgewalt daran.

Nach § 26c Abs 2 Z 2 UWG ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses rechtswidrig, wenn sie gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder eine vertragliche oder sonstige Verpflichtung verstößt. Mit der Einräumung des Werknutzungsrechts war die Verpflichtung des Beklagten verbunden, den Quellcode (als Geschäftsgeheimnis) nicht offenzulegen, würde doch die Offenlegung des Quellcodes den Vertragsgegenstand (Software) drastisch entwerten. Auf diese Verschwiegenheitspflicht konnte sich die Klägerin als nunmehrige Inhaberin des Geschäftsgeheimnisses berufen. Die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wurde vom OGH daher wiederhergestellt.

 

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