OGH-Entscheidung vom 22.10.2024, 4 Ob 100/24w
Sachverhalt:
Die Streitparteien erzeugen jeweils Systeme zur kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung für Diabetiker. Sie beinhalten jeweils ein am Körper getragenes Messgerät (sog „On-Body-Unit“ = OBU), das mit einem Anzeigegerät (zB Lesegerät oder Smartphone) Verbindung aufnimmt.
Die Klägerin ist seit 2021 Inhaberin folgender österreichischen Formmarke in Farbe, die unter anderem für kontinuierliche Glukoseüberwachungsysteme (Klasse 10) geschützt ist:
Das runde Design der Formmarke hat keine technische Funktion und keinen wirtschaftlichen Vorteil.
Die OBU der Beklagten sieht so aus:
Die gegenüberstehenden OBUs sind annähernd gleich groß. Aus einer Entfernung von rund 3 Metern sind sie mit bloßem Auge nicht unterscheidbar.
Andere Hersteller von funktionsgleichen Produkten haben ihre OBUs nicht kreisförmig, sondern etwa rechteckig mit deutlich abgerundeten Ecken oder einseitig schmal zulaufend und nur an den Enden halbkreisförmig rund gestaltet.
Die Klägerin machten Ansprüche (nach MSchG und UWG) auf Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung geltend.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung für die Unterlassungsansprüche nach MSchG.
Der OGH gab dem Revisionsrekurs der Beklagten Folge und wies die auf das MSchG gestützten Sicherungsanträge ab.
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Formmarke der Klägerin wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG nicht eintragungsfähig sei, weil die Form technisch bedingt sei. Bei nationalen Marken binde eine Eintragung im Markenregister die Zivilgerichte nicht. Die Zivilgerichte können auch einer registrierten Marke daher den Schutz versagen, wenn sie im Gegensatz zur Markenbehörde ein absolutes Eintragungshindernis annehmen.
Auch der OGH kam zu dem Ergebnis, dass die meisten Aspekte der Formmarke der Klägerin im Gesamteindruck keine Unterscheidungskraft vermitteln:
Der Verwendungszweck als ständig am Körper zu tragendes Medizinprodukt erfordert eine möglichst kleine, flache Form ohne Ecken, Kanten oder Zacken. Die OBU soll nämlich ihren Träger möglichst wenig in seiner Bewegungsfreiheit einschränken, ausreichend Klebefläche zur verlässlichen Befestigung auf der Haut bieten, sich bei einem Kleidungswechsel nicht im Textil verfangen, und den Träger sowie andere Personen bei Körperkontakt nicht durch scharfkantige oder spitze Stellen verletzen. Dies alles ist nur durch eine flache und rundliche (oder zumindest abgerundete) Form zu erreichen, die von den beteiligten Verkehrskreisen deshalb nicht als Hinweis auf eine betriebliche Herkunft aufgefasst wird. Die von den Klägerinnen gewählte Form ist dabei die allereinfachste, die die genannten Voraussetzungen erfüllt. Eine so grundlegende geometrische Figur wie eine runde Scheibe kann nicht als Formmarke monopolisiert werden.
Die Farbe Weiß ist für Medizinprodukte besonders üblich, sie wird allgemein mit Ärzten, Krankenhäusern und medizinischen Geräten assoziiert. Auch darin sehen die beteiligten Verkehrskreise daher keinen Hinweis auf eine bestimmte Herstellerin einer OBU.
Ob die Anordnung und Form der Oberflächenöffnungen von den beteiligten Verkehrskreisen als Herkunftshinweis aufgefasst wird und somit eine Eintragungsfähigkeit bzw nunmehr Rechtsbeständigkeit bewirkt, konnte im Provisorialverfahren nicht abschließend beurteilt werden. Sie konnte in diesem Fall jedoch dahinstehen, weil die Formmarke nur ein schwaches Zeichen ist und damit die Verwechslungsgefahr mit dem Eingriffsgegenstand zu verneinen und der auf MSchG gestützte Provisorialantrag abzuweisen war.
Denn bei schwachen Zeichen genügen bereits geringe Abweichungen, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Möglicherweise nicht funktionale Elemente sind verschieden gestaltet. Die Gestaltung der Deckflächen weist grundverschiedene Elemente auf. Auch von der Seite ist die Gestaltung jeweils unterschiedlich. Ebenso sind die Weißtöne unterschiedlich.
Auch die in der Rekursentscheidung thematisierte fehlende Unterscheidbarkeit aus Abstand von 3 m führt nicht dazu, Verwechslungsgefahr zu begründen. Denn aus dieser Entfernung sind Details an Gegenständen von nur 5 cm Durchmesser nämlich generell nicht leicht auszumachen.
Zusammengefasst bezweifelte der OGH die Unterscheidungskraft der Formmarke; eine Verwechslungsgefahr mit der OBU der Beklagten verneinte er aber jedenfalls.
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