OGH-Entscheidung vom 20.12.2022, 4 Ob 193/22v

 

Sachverhalt:

Die Klägerin produziert und vertreibt Leuchten als Großhändlerin an gewerbliche Wiederverkäufer. Sie ist Inhaberin dieses Gemeinschaftsgeschmacksmusters in der Design-Klasse „Hanging lamps“:

Die Beklagte führte folgende Hängelampe mit dem Produktnamen „Almeida“ in die Europäische Union ein und vertrieb sie unter anderem in Österreich:

 

Die Klägerin sah darin einen Eingriff in ihr Geschmacksmuster und klagte u.a. auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Beseitigung, etc.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben dem Begehren überwiegend statt. Sie verpflichteten die Beklagte, (zusammengefasst) es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr ein Produkt mit einem ähnlichen Gesamteindruck wie das Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr 001194039-0001 herzustellen, zu bewerben, anzubieten […] insbesondere eine Hängeleuchte, die an der Unterseite der waagrecht abgehängten Stange fünf schwarze Metallrundrohrstangen unterschiedlicher Länge in gleichmäßigen Abständen voneinander vertikal angebracht hat und an deren vertikalen Metallrundrohrstangen ihrerseits fünf kegel- und zylinderförmige Lampenschirme angebracht sind, welche […] einen unterschiedlichen Durchmesser aufweisen.

Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten an den OGH hatte keinen Erfolg.

Bei Beurteilung der Frage, ob ein anderes Geschmacksmuster in den Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters fällt, ist der jeweilige Gesamteindruck zu ermitteln und zu vergleichen. Es kommt nicht auf einen mosaikartig aufgespaltenen Vergleich von Einzelheiten an. Ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt, ist danach zu beurteilen, ob beim informierten Benutzer ein anderer Gesamteindruck erweckt wird. Dieser Benutzer unterscheidet sich durch ein gewisses Maß an Kenntnissen und Aufgeschlossenheit für Designfragen vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“, wenn auch nicht Wissen und Fähigkeiten eines Fachmanns anzulegen sind. Ein hohes Maß an Eigenart gibt dabei Raum für einen großen Schutzumfang, umgekehrt führt geringe Eigenart auch nur zu einem kleinen Schutzumfang.

Die Vorinstanzen sind zum Ergebnis gelangt, dass ein informierter Benutzer bei Betrachtung beider Lampen-Modelle keinen unterschiedlichen Gesamteindruck gewinnt. Das prägende Element des Gemeinschaftsgeschmacksmusters sei die Anordnung der Schirme in unterschiedlichen Höhen und Größen, weil diese spezielle Anordnung einen spielerischen, unregelmäßigen Eindruck erwecke und die Leuchte der Beklagten genau diese prägenden Merkmale übernehme.

Eine unterschiedliche Farbgestaltung war nicht relevant, da das Geschmackmuster nicht farbig eingetragen ist. Damit war von einer untergeordneten Bedeutung der Farbgestaltung auszugehen, weil der spezielle Gesamteindruck durch die helleren und dunkleren Lampenschirme geprägt wird.

Auch ausgehend von einem geringen Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters der Klägerin aufgrund eines geringen Grads an Eigenheit liegt ein Eingriff der Beklagten vor. Die Eigenheit besteht in der unregelmäßigen Anordnung der Lampenschirme an einer horizontalen Stange, an der linear mithilfe von kurzen, vertikalen Stangen in verschiedenen Höhen fünf Lampenschirme angebracht sind, die die Form von Kegelsegmenten mit sehr unterschiedlichen Grundflächen aufweisen und deren unterschiedlicher Abstand zur horizontalen Stange den speziellen, unruhigen und spielerischen Eindruck erzeugt und damit das Auge des Betrachters auf diesen Teil lenkt. Die vermeintliche Beliebigkeit der Kombination verschiedener und auf den ersten Blick nicht zueinander passender Lampenschirme erzeugt für den informierten Benutzer den Eindruck einer improvisierten Gestaltung.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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