OGH-Entscheidung vom 22.9.2021, 4 Ob 72/21y

 

Sachverhalt:

Die Streitparteien vertreiben Heizsocken mit folgendem Aussehen (links Klägerin, rechts Beklagte):

 

 

 

 

 

 

Für die Klägerin ist folgendes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, wobei die drei Druckknöpfe zur Anbringung eines Akkus für die Beheizung dienen:

 

 

 

 

 

 

 

Die Klägerin begehrte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Der Beklagten solle es verboten werden, Erzeugnisse, insbesondere Heizsocken mit Druckknopfleisten, die keinen anderen Gesamteindruck als das Geschmacksmuster der Klägerin hervorriefen, im Gebiet der EU zu benutzen.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen das auf § 1, § 2 Abs 3 Z 1 und § 9 UWG gestützte Sicherungsbegehren der Klägerin ab. Der OGH wies den Revisionsrekurs der Klägerin zurück.

Technologische Innovationen dürfen nicht dadurch behindert werden, dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird. Nach Art 8 Abs 1 und 2 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGVO) besteht ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster weder an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, noch an Erscheinungsmerkmalen, die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit das Erzeugnis, in das das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, mit einem anderen Erzeugnis mechanisch verbunden oder angebracht werden kann, sodass beide Erzeugnisse ihre Funktion erfüllen können.

Für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, sind alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Ob ein anderes Geschmacksmuster in den Schutzumfang eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters fällt, ist somit unter Würdigung aller objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt; bzw. ob bei einem informierten Benutzer ein anderer Gesamteindruck erweckt wird (siehe u.a. auch HIER und HIER). Dieser Benutzer unterscheidet sich durch ein gewisses Maß an Kenntnissen und Aufgeschlossenheit für Designfragen vom Durchschnittsverbraucher, wenn auch nicht Wissen und Fähigkeiten eines Fachmanns anzulegen sind. Ein hohes Maß an Eigenart gibt dabei Raum für einen großen Schutzumfang, umgekehrt führt geringe Eigenart auch nur zu einem kleinen Schutzumfang.

Die Vorinstanzen sind im vorliegenden Fall zum Ergebnis gelangt, dass ein informierter Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck von den Heizsocken gewinne, zumal die Druckknopfleiste als technisch bedingtes Merkmal nicht in die Betrachtung einzubeziehen sei. Diese Beurteilung steht mit der Rechtsprechung des EuGH sowie der GGVO im Einklang. Heizsocken ohne Anbringung eines Akkus (und damit ohne Heizfunktion) wären nicht bestimmungsgemäß zu gebrauchen. Die Druckknöpfe haben eine hierfür erforderliche technische Funktion, die nicht weggedacht werden kann, ohne dass damit der bestimmungsgemäße Gebrauch des Erzeugnisses beeinträchtigt würde. Zudem ist bei bestimmungsgemäßer Verwendung keiner der Druckknöpfe sichtbar. Diese stellen kein verzierendes Designelement dar.

Auch unlautere Nachahmung iSd UWG liegt nicht vor, da für Produkte, die keinen Sonderrechtsschutz für sich in Anspruch nehmen können, grundsätzlich Nachahmungsfreiheit besteht (siehe auch HIER). Die Nachahmung gewerblicher Erzeugnisse ist nur bei Hinzutreten besonderer Umstände unlauter. Sittenwidrig handelt, wer seinem wettbewerblich eigenartigen Produkt bewusst die Form eines fremden, sonderrechtlich nicht geschützten Erzeugnisses gibt, obwohl eine andersartige Gestaltung zumutbar gewesen wäre, und dadurch die Gefahr von Verwechslungen über die betriebliche Herkunft hervorruft. Der OGH konnte keine solche Umstände erkennen.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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