OGH-Entscheidungen vom 22.10.2024, 4 Ob 233/23b und 4 Ob 56/24z

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Inhaberin zahlreicher Marken für Parfümeriewaren. Der Vertrieb erfolgt durch nationale Vertriebsgesellschaften und Vertragspartner im Sinne eines selektiven Vertriebssystems. Autorisierten Vertragshändlern mit Sitz in der EU oder dem EWR ist ein Verkauf von Produkten an andere Vertragshändler oder Konsumenten mit Sitz in der EU oder dem EWR vertraglich erlaubt, hingegen ein Vertrieb in einen Drittstaat verboten. Vertragshändler und nationale Vertriebsgesellschaften mit Sitz außerhalb der EU bzw des EWR dürfen die Produkte ausschließlich im eigenen Sitzstaat vertreiben.

Die Beklagten (in beiden Verfahren) betreiben ein bundesweites Filialnetz zum Vertrieb von Drogerie- und Parfümwaren. Sie sind keine Vertragshändlerinnen. Dessen ungeachtet vertreiben die Beklagten mit Marken der Klägerin gekennzeichnete Produkte.

Um zulässige von unzulässigen Parallelimporten unterscheiden zu können, bedienen sich der Konzern bzw die Klägerin eines Tracking-Systems mit individuellen Tracking-Codes, die vor Auslieferung der Produkte auf den einzelnen Parfümverpackungen sowie zusätzlich auf den Großkartons angebracht werden. Aus dem Tracking-Code kann „– wenn überhaupt –“ nur die Klägerin ableiten, an welche nationale Vertriebsgesellschaft bzw welchen Vertragshändler die Ware ausgeliefert wurde. Für autorisierte Vertragshändler des Konzerns ist es hingegen nicht möglich, zu überprüfen oder festzustellen, wo ein von ihnen vertriebenes Produkt erstmals in Verkehr gebracht wurde. Den Letztverkäufern ist es ebenso wenig möglich.

Die Klägerin begehrte mit ihren Klagen, die Beklagten zur Unterlassung und Urteilsveröffentlichung zu verpflichten, weil und soweit diese im Inland Parfümeriewaren der Klägerin ohne ihre Zustimmung in Verkehr bringen, die mit ihren Marken gekennzeichnet sind, aber nicht von der Klägerin oder mit ihrer Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht wurden.

 

Entscheidung:

Die Klägerin war in erster und zweiter Instanz erfolgreich. Der OGH befand die Revisionen der Beklagten im Hinblick auf neue Judikatur des EuGH jedoch für zulässig und berechtigt. Der OGH wies die Klagen ab.

In aller Regel hat der Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen und eine Begehungsgefahr zu beweisen, also eine bereits erfolgte Eingriffshandlung des Beklagten oder deren Drohen. Hat der Beklagte bereits gegen seine Unterlassungspflicht verstoßen, wird die Wiederholungsgefahr vermutet, sodass er für deren Wegfall behauptungs- und beweispflichtig ist.

In seiner Entscheidung vom 18.1.2024 (Rechtssache C‑367/21 Hewlett Packard; siehe HIER im Blog) ermöglichte es der EuGH nationalen Gerichten, Markeninhabern die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass sie das erste Inverkehrbringen von Exemplaren der betreffenden Waren außerhalb des Gebiets der Union oder des EWR vorgenommen oder genehmigt haben.

Der EuGH stellte in dieser Entscheidung darauf ab, dass die dort klagende Markeninhaberin ein selektives Vertriebsnetz betrieb, in dessen Rahmen die mit den Marken versehenen Waren keine Kennzeichen aufwiesen, die es Dritten ermöglicht hätten, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen.

Die früher vom OGH aufgestellten Grundsätze mussten daher dahingehend ergänzt werden, dass eine Abschottung der Märkte im EWR, die vom Beklagten zu beweisen ist und zu einer Beweislast des Klägers für das erste Inverkehrbringen außerhalb des EWR führt, auch bei einem selektiven Vertriebssystem drohen kann, dessen Mitglieder die Waren nur an andere autorisierte Vertragshändler und Endverbraucher im EWR verkaufen dürfen. Zusätzlich ist erforderlich, dass die mit der Marke versehenen (Original-)Waren keine Kennzeichen aufweisen, die es einem Dritten ermöglichen, den Markt zu ermitteln, für den sie bestimmt sind, und von Seiten des Markeninhabers (auch sonst) keine Auskunft darüber erlangt werden kann. Schließlich müssen die Waren vom Beklagten im EWR erworben worden sein, nachdem er von seinem Verkäufer die (glaubhafte) Zusicherung erhalten hat, dass diese im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften dort vertrieben werden dürfen, aber der Verkäufer (aus objektiv nachvollziehbaren Gründen) nicht zu einer Offenlegung seiner Bezugsquellen bereit ist, weil diesfalls die Unterbindung des Parallelhandels von Seiten des Markeninhabers zu erwarten ist.

In den vorliegenden Fällen gelang den Beklagten der Nachweis einer Marktabschottung im Sinne dieser jüngsten Rechtsprechung des EuGH: Die Klägerin unterhält ein vergleichbares selektives Vertriebssystem. Des Weiteren sind die einzelnen Waren zwar mit „Tracking-Codes“ versehen, Vertragshändlern oder Dritten ist es jedoch unstrittig nicht möglich, aufgrund der Verpackung bzw aus diesem Zahlencode den Ort des Inverkehrbringens bzw den Bestimmungsmarkt zu ermitteln.

Der OGH hob daher die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klagen ab.

 

 

Link zur Entscheidung 4 Ob 233/23b und zur Entscheidung 4 Ob 56/24z

 

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Erschöpfungsgrundsatz im Markenrecht:

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