EuGH-Urteil vom 27.10.2022, Rechtssache C‑197/21

 

Sachverhalt:

SodaStream produziert und verkauft Karbonisierungsgeräte, mit denen Verbraucher aus Leitungswasser kohlensäurehaltiges Wasser und aromatisierte kohlensäurehaltige Getränke herstellen können. In Finnland vertreibt SodaStream diese Geräte mit einer wiederbefüllbaren Kohlendioxid-Flasche, die sie auch getrennt zum Kauf anbietet. Die SodaStream-Gesellschaften sind Inhaberinnen der Marken SODASTREAM und SODA-CLUB. Diese Marken befinden sich auf der Etikettierung und sind in den Aluminiumkörper dieser Flaschen eingraviert.

Das finnische Unternehmen MySoda bietet befüllte Kohlendioxid-Flaschen zum Kauf an, die sowohl mit ihren eigenen Karbonisierungsgeräten als auch mit denen von SodaStream kompatibel sind. Nachdem MySoda die SodaStream-Flaschen, die Verbraucher leer zurückgeschickt hatten, über Händler erhalten hat, füllt sie sie wieder mit Kohlendioxid auf. Sie ersetzt die Originaletiketten durch ihre eigenen Etiketten, wobei die auf dem Flaschenkörper eingravierten Marken von SodaStream sichtbar bleiben.

SodaStream erhob Klage auf Feststellung, dass MySoda in Finnland die Marken SODASTREAM und SODACLUB dadurch verletzt habe, dass sie wiederbefüllte Kohlendioxid-Flaschen, die mit diesen Marken versehen seien, ohne Zustimmung ihrer Inhaber vermarktet und verkauft habe. Mit Zwischenurteil gab das Markkinaoikeus (Marktgericht, Finnland) den Anträgen von SodaStream teilweise statt. Das Oberste Gericht in Finnland legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Entscheidung:

Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass Art. 9 der UnionsmarkenVO und Art. 10 der MarkenRL dem Inhaber einer Unionsmarke bzw. dem Inhaber einer nationalen Marke ein ausschließliches Recht verleihen, das es ihm u. a. gestattet, Dritten zu verbieten, mit seiner Marke versehene Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen. Die genannten Bestimmungen enthalten eine Ausnahme von diesem Grundsatz, indem sie vorsehen, dass Erschöpfung des Rechts eintritt, wenn die Waren vom Markeninhaber selbst oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht wurden.

Wie der EuGH schon häufig anerkannt hat, besteht der spezifische Gegenstand des Markenrechts insbesondere darin, dem Inhaber das Recht zu verleihen, die Marke beim erstmaligen Inverkehrbringen einer Ware zu benutzen, und ihn dadurch vor Konkurrenten zu schützen, die die Stellung und den Ruf der Marke durch den Vertrieb widerrechtlich mit ihr versehener Waren missbrauchen wollen. Um die genaue Reichweite dieses ausschließlichen Rechts des Markeninhabers zu bestimmen, ist die Hauptfunktion der Marke zu berücksichtigen, die darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren. Daher ist die Frage, ob sich der Markeninhaber dem weiteren Vertrieb der mit seiner Marke versehenen Waren und insbesondere den Maßnahmen des Wiederverkäufers in Bezug auf die Entfernung der Originaletiketten und die Anbringung neuer Etiketten auf diesen Waren, wobei eine ursprüngliche Marke sichtbar bleibt, widersetzen kann, unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Markeninhabers zu prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Hauptfunktion der Marke, die darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren.

Zum Thema Gasflaschen hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass durch den Verkauf einer wiederbefüllbaren Gasflasche durch den Inhaber der auf ihr angebrachten Marken die Rechte, die der Markeninhaber aus der Eintragung dieser Marken ableitet, erschöpft werden und das Recht, frei über diese Flasche zu verfügen, einschließlich des Rechts, sie bei einem Unternehmen seiner Wahl zu tauschen oder wiederbefüllen zu lassen, auf den Käufer übergeht. Mit diesem Recht des Käufers geht das Recht der Wettbewerber des Inhabers der auf dieser Flasche angebrachten Marken einher, leere Flaschen wiederzubefüllen und auszutauschen.

Der Umfang der auf den neuen Etiketten stehenden Informationen ist jedenfalls von erheblicher Bedeutung. Der durch die Neuetikettierung vermittelte Gesamteindruck muss beurteilt werden, um festzustellen, ob die Informationen über den Markeninhaber einerseits und den Wiederverkäufer andererseits, einem Verbraucher eindeutig und unmissverständlich erscheinen. Diese Informationen, die auf der Neuetikettierung angegeben werden, dürfen insbesondere nicht den Eindruck erwecken, dass zwischen dem Wiederverkäufer, der die Flasche wiederbefüllt hat, und dem Inhaber der ursprünglichen Marke eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Zudem sind die Praktiken in dem betreffenden Wirtschaftszweig und die Frage zu berücksichtigen, ob die Verbraucher daran gewöhnt sind, dass die Flaschen von anderen Wirtschaftsteilnehmern als dem Inhaber der ursprünglichen Marke wiederbefüllt werden.

Letztendlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass Art. 15 Abs. 2 der UnionsmarkenVO und Art. 15 Abs. 2 der MarkenRL dahin auszulegen sind, dass sich der Inhaber einer Marke, der in einem Mitgliedstaat Waren vertrieben hat, die mit dieser Marke versehen sind und mehrmals wiederverwendet und wiederbefüllt werden sollen, nach diesen Bestimmungen dem weiteren Vertrieb dieser Waren in diesem Mitgliedstaat durch einen Wiederverkäufer, der sie wiederbefüllt und das die ursprüngliche Marke aufweisende Etikett durch eine andere Etikettierung ersetzt hat, wobei aber auf diesen Waren die ursprüngliche Marke sichtbar bleibt, nicht widersetzen darf, sofern diese Neuetikettierung bei den Verbrauchern nicht den irrigen Eindruck hervorruft, dass zwischen dem Wiederverkäufer und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Diese Gefahr einer Verwechslung ist anhand der Angaben auf der Ware und auf ihrer Neuetikettierung sowie anhand der Vertriebspraktiken des betreffenden Wirtschaftszweigs und des Bekanntheitsgrades dieser Praktiken bei den Verbrauchern umfassend zu beurteilen.

 

Link zum Entscheidungstext

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Erschöpfungsgrundsatz im Markenrecht:

Erschöpfungsgrundsatz: Bei identischen Parallelmarken bedarf Einfuhr aus Drittstaat Zustimmung des nationalen Markeninhabers

Weiterverbreitung von Markenware im EWR: Vertriebswege und Erschöpfung des Markenrechts unklar – Klage rechtsmissbräuchlich?

Online-Shop bedruckt Versandkartons mit bekannten Marken: Keine Markenrechtsverletzung