EuGH-Entscheidung vom 18.1.2024, Rechtssache C‑367/21

 

Sachverhalt:

Hewlett Packard ist Inhaberin von Unionsmarken mit dem Wortbestandteil „HP“. Das Unternehmen vertreibt Computerhardware über autorisierte Vertreter, die Produkte nicht an Händler weiterverkaufen dürfen, die nicht zum Vertriebsnetz von Hewlett Packard gehören.

Jeder Artikel ist mit einer Seriennummer versehen, über die er identifiziert werden kann. Hewlett Packard verfügt über ein IT‑Tool, das u.a. eine Datenbank umfasst, die eine Auflistung aller Artikel sowie den Markt, für den sie bestimmt sind, enthält. Die Artikel selbst sind hingegen mit keinem Kennzeichnungssystem versehen, das einem Dritten die Feststellung ermöglichen würde, ob ein Artikel für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bestimmt ist.

Das beklagte polnische Unternehmen ist ebenfalls im Vertrieb von Computerhardware tätig. Es führte Waren ein, die mit den Unionsmarken von Hewlett Packard gekennzeichnet waren. Diese Waren erwarb die Beklagte von im EWR ansässigen Verkäufern, die keine offiziellen Vertragshändler waren.

Hewlett Packard klagte in Polen auf Unterlassung der Markenrechtsverletzung.

Das Regionalgericht Warschau beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

 

 

Entscheidung:

Im vorliegenden Fall betreibt Hewlett Packard ein selektives Vertriebsnetz, in dessen Rahmen die mit den streitgegenständlichen Marken gekennzeichneten Waren keine Kennzeichnung aufweisen, die es Dritten ermöglichen würden, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen. Der EuGH war mit der Frage befasst, ob die Beweislast für die Erschöpfung des Markenrechts ausschließlich den Beklagten eines Verletzungsverfahrens trifft. (Der Erschöpfungsgrundsatz im Markenrecht besagt grundsätzlich, dass das ausschließliche Recht eines Markeninhabers, die Verwendung seiner Marke zu kontrollieren, erschöpft ist, wenn die mit der Marke gekennzeichneten Waren einmal im Europäischen Wirtschaftsraum EWR durch den Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurden.)

Der EuGH erwog, dass es dem Markeninhaber unter solchen Umständen (dh wenn dem Beklagten des Verletzungsverfahrens die Beweislast auferlegt wird) ermöglicht werden könnte Parallelimporten entgegenzuwirken, obwohl die daraus folgende Beschränkung des freien Warenverkehrs nicht durch den Schutz des Markenrechts gerechtfertigt wäre. Der Beklagte des Verletzungsverfahrens hätte nämlich erhebliche Schwierigkeiten, einen solchen Beweis zu erbringen

Der EuGH hielt fest, dass es Sache des nationalen Gerichts sein wird, eine Modifizierung der Beweislastverteilung für die Erschöpfung des Rechts aus den betreffenden Unionsmarken vorzunehmen, indem es dem Markeninhaber die Beweislast dafür auferlegt, dass er das erste Inverkehrbringen von Exemplaren der betreffenden Waren außerhalb des Gebiets der Union oder des EWR vorgenommen oder genehmigt hat. Gelingt dieser Nachweis, wird es dem Beklagten des Verletzungsverfahrens obliegen, nachzuweisen, dass dieselben Exemplare anschließend vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung in den EWR eingeführt worden sind.

Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage schließlich dahingehend, dass Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 15 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit den Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Beweislast für die Erschöpfung des Rechts aus einer Unionsmarke ausschließlich den Beklagten eines Verletzungsverfahrens trifft, wenn die mit dieser Marke versehenen Waren, die keine Kennzeichen aufweisen, die es Dritten ermöglichen würden, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen und die über ein selektives Vertriebsnetz verteilt werden, dessen Mitglieder die Waren nur an andere Mitglieder dieses Netzes oder an Endverbraucher weiterverkaufen dürfen, von diesem Beklagten in der Union oder im EWR erworben wurden, nachdem er von den Verkäufern die Zusicherung erhalten hatte, dass die Waren im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften dort vertrieben werden dürfen, und der Inhaber der Marke sich weigert, selbst eine solche Überprüfung auf Verlangen des Käufers vorzunehmen.

 

 

 

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