OGH-Entscheidung vom 6.4.2022, 6 Ob 36/22w

 

Sachverhalt:

Zwischen den Streitteilen besteht ein Strom-Nutzungsvertrag. Seit dem Jahr 2019 werden bei Kunden der Beklagten analoge Stromzähler gegen „smarte Zähler“ ausgetauscht. Der Unterschied zum bisherigen analogen Zähler besteht darin, dass die Daten einmal pro Jahr extern ausgelesen werden können.

Der Kläger informierte die Beklagte darüber, dass er den Austausch des analogen Stromzählers gegen einen Smart Meter ablehne. Die Beklagte antwortete, dass sie zum Austausch der Stromzähler verpflichtet sei, es aber die Möglichkeit eines Opt-Out gebe. Bei dieser Opt-Out-Konfiguration wird lediglich der jährliche Verbrauch gespeichert und übertragen. Es werden keine laufenden Datenaufzeichnungen getätigt.

Allen Konfigurationsvarianten ist gemein, dass der gesamte jährliche Stromverbrauch eines Kunden einmal pro Jahr den Stromlieferanten zur Abrechnung übermittelt wird. Der Stromlieferant sowie die Zählerhersteller haben keinen Zugriff auf die weiteren von der Beklagten gespeicherten Daten. Der Smart Meter erfasst Verbrauchsdaten und überträgt sie dann verschlüsselt an die Beklagte. Sicherheitsmaßnahmen wie Firewalls und Verschlüsselungen verhindern den unautorisierten Zugriff auf die Daten.

Der Kläger begehrte vor Gericht, die Beklagte schuldig zu erkennen, es ab sofort zu unterlassen, das installierte Messgerät durch ein intelligentes Messgerät zu ersetzen. Denn durch intelligente Messgeräte erhobene Verbrauchsinformationen von Privathaushalten würden personenbezogene Daten iSd § 4 Z 1 DSGVO darstellen. Die präzise Erfassung des Stromverbrauchs einzelner Wohneinheiten stelle einen erheblichen Eingriff in die von § 16 ABGB geschützte Privatsphäre dar.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Dem Wunsch des Kunden auf Opt-Out sei durch die Deaktivierung der intelligenten Funktionen zu entsprechen. Das Berufungsgericht teilte die Beurteilung des Erstgerichts. Beim Messgerät in der Opt-out-Variante werde der Stromverbrauch lediglich jährlich (extern) ausgelesen, was zur Vertragserfüllung und gemäß Art 6 Abs 1 lit b DSGVO sowie auch im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zulässig sei.

Der OGH befand die Revision des Klägers für unberechtigt. Die mit der beabsichtigten Funktionalität (in der Opt-Out-Variante) in Aussicht gestellte (abrechnungsrelevante) Datenverarbeitung stehe dem Einbau und der Verwendung der geplanten digitalen Messeinrichtung nicht entgegen. Die bloße Möglichkeit, dass die Beklagte die Einrichtung aus der Ferne umkonfiguriert und damit die Datenverarbeitung ausweitet, spricht ebenso wenig gegen den Einbau und die Verwendung dieser Messeinrichtung, wozu die Beklagte nach dem zugrunde liegenden Strom-Nutzungsvertrag berechtigt ist.

Der OGH führte dazu näher aus, dass Informationen über den Stromverbrauch des Klägers innerhalb eines bestimmten Zeitraums einen Personenbezug aufweisen und es sich dabei nach dem weiten Begriffsverständnis um personenbezogene Daten iSd Art 4 Z 1 DSGVO handelt. Die Erfassung, Speicherung und das Auslesen dieser Informationen stellt eine Datenverarbeitung iSd Art 4 Z 2 DSGVO durch die Beklagte als gemäß Art 4 Z 7 DSGVO Verantwortliche dar. Die Zulässigkeit dieser Datenverarbeitung richtet sich daher nach den Bestimmungen der DSGVO. Die Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten ist jedoch zur Erfüllung des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrags und gemäß Art 6 Abs 1 lit b DSGVO zulässig.

Der Kläger sah die Gefahr, dass die Messeinrichtung aus der Ferne so konfiguriert werden könnte, dass trotz des Opt-Out-Wunsches und unbemerkt erheblich mehr personenbezogene Daten gespeichert, übertragen und verarbeitet würden, und sah darin eine nach der DSGVO nicht gerechtfertigte Datenverarbeitung und einen Eingriff in seine Grundrechtssphäre (§ 16 ABGB). Der OGH verneinte hier einen Unterlassungsanspruch, da ein solcher schon mangels konkreter und unmittelbarer Drohung ausscheidet. Allein die Bezugnahme auf eine reine Möglichkeit genüge für einen Unterlassungsanspruch nicht. Die bloße Möglichkeit eines Eingriffs durch die Beklagte sei weder eine nach der DSGVO unzulässige Datenverarbeitung noch droht eine solche deswegen bereits.

Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht hat der OGH in einer früheren Entscheidung zwar eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre bereits dann bejaht, wenn sich eine Person durch eine Videokamera-Attrappe kontrolliert fühlen musste, jedoch ist erforderlich, dass sich für einen „unbefangenen, objektiven Betrachter“ der Eindruck einer Überwachung ergeben kann. Der Einbau und die Verwendung einer Messeinrichtung, die bei entsprechender Konfiguration auch weitere Daten des Klägers verarbeiten könnte, sei damit nicht vergleichbar.

 

 

Link zur OGH-Entscheidung

 

 

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