OGH-Entscheidung vom 21.3.2018, 3 Ob 195/17y

Sachverhalt:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter und bebauter Grundstücke. Zwischen den Parteien gibt es seit einigen Jahren Streitigkeiten.

Um zu verhindern, dass Müll/Gegenstände über ihren Zaun in ihren Garten geworfen werden, und um herauszufinden, von wem diese Gegenstände auf ihre Liegenschaft gebracht worden waren, ließ die Beklagte vier Videokameras durch einen Fachmann installieren. Alle Kameras übertragen nur Bilder von der Liegenschaft der Beklagten. Jene Bildteile, die Nachbargrundstücke und auch das Grundstück des Klägers betreffen, sind verpixelt. Die Beklagte selbst kann weder die Kameraeinstellungen noch den durch die Kamera sichtbar gemachten Bereich, also die Systemeinstellungen selbständig verändern. Ihr „Benutzercode“ erlaubt ihr nur, die Aufnahmen zu sehen. Den „Administratorcode“, den man benötigt, um die Systemfunktionen einzustellen, nämlich die Verpixelung, die Aufnahmedauer sowie alle anderen systemrelevanten Einstellungen, kennt die Beklagte nicht.

Der Kläger strengte wegen der Videokameras ein Verfahren bei der Datenschutzbehörde an, im Rahmen dessen er erstmals die von den Videokameras aufgenommenen Bilder einschließlich der Verpixelung jener Bereiche sah, die Teile seiner Liegenschaft zeigen würden. Die Datenschutzbehörde teilte dem Kläger mit, dass das dortige Verfahren gegen die Beklagte eingestellt wurde, weil die Überwachung des eigenen Privatgrundstücks mit Einschränkungen zulässig sei.

Der Kläger klagte auf Unterlassung und Entfernung der Kameras bzw. Veränderung der Kameraeinstellungen.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben der Klage nicht Folge. Der OGH hielt die Revision des Klägers aus Gründen der Rechtssicherheit für zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen die Judikatur zu Eingriffen in die Privatsphäre durch Videoüberwachung unrichtig anwendeten. Aus der Begründung:

Im Zusammenhang mit Videokameras bzw Videokameraattrappen wurde schon ausgesprochen, es sei entscheidend, dass Nachbarn/Hausbewohner durch vermeintliche Überwachungsmaßnahmen nicht gestört oder belästigt werden. Muss sich ein solcher immer kontrolliert fühlen, wenn er das Haus betritt oder verlässt oder sich in seinem Garten aufhält, bewirken Überwachungsmaßnahmen, selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera sein sollte, einen Eingriff in die Privatsphäre. Für Nachbarn/Hausbewohner darf also nicht der Eindruck des Überwachtwerdens im Sinn systematischer, identifizierender Überwachungsmaßnahmen entstehen. Können sie etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera oder einer (nicht als solche erkennbaren) Videokameraattrappe die berechtigte Befürchtung haben, dass sie sich im Überwachungsbereich befinden und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst sind, so ist ein Eingriff in die Privatsphäre grundsätzlich zu bejahen. Es geht somit maßgeblich nicht darum, ob die Überwachung auch aufgezeichnet wird, weil es bereits eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre (Geheimsphäre) darstellt, wenn sich ein Betroffener durch die Art der Anbringung und den äußeren Anschein einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt fühlt.

Im Anlassfall ist zunächst davon auszugehen, dass die unterhalb des Daches des Hauses der Beklagten angebrachten Videokameras jedenfalls auch Teile des Grundstücks des Klägers erfassen, daher auch auf dieses hin ausgerichtet sind und identifizierende Aufnahmen ermöglichen, weil all das den einzigen Grund für die erforderliche Verpixelung darstellt. Außerdem ist als offenkundig zu unterstellen, dass diese Ausrichtung der Videokameras vom (Nachbar-)Grundstück des Klägers aus erkennbar ist (der ja umgehend auf die Montage reagierte). Dem Kläger ist unter diesen Umständen die begründete konkrete Befürchtung zuzugestehen, dass er sich im Überwachungsbereich befindet und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst wird. Demgemäß gestand auch die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zu, dass der Zweck der Verpixelung darin bestehe, die Privatsphäre des Nachbarn zu schützen; sie anerkennt damit, dass jedenfalls ohne diese (für den Kläger nicht beurteilbare) technische Maßnahme ein Eingriff in seine Privatspähre vorliegt.

Angesichts des eskalierenden Nachbarschaftsstreits ist darüber hinaus auch eine konkrete Eingriffsgefahr zu bejahen. Es besteht die – nicht bloß abstrakte – Befürchtung, dass die Aufzeichnung jederzeit und vom klagenden Nachbarn unbemerkt durch Aufhebung der Verpixelung auch auf die erfassten Bereiche des klägerischen Grundstücks erweitert werden könnte. Deshalb ist auch ein Eingriff in seine Privatsphäre durch bestehenden Überwachungsdruck grundsätzlich gegeben. Eine Aufhebung der Verpixelung ist weder technisch ausgeschlossen noch kann ein solche künftige Veranlassung durch die Beklagte als lebensfremd oder unwahrscheinlich abgetan werden, sondern ist als durchaus realistisch in Betracht zu ziehen.

Der Kläger brachte dazu in der letzten Streitverhandlung ergänzend vor, die Beklagte könne die Kameras jedenfalls so montieren, dass diese nicht auf das Grundstück des Klägers ausgerichtet seien, sodass auch eine Verpixelung nicht notwendig sei. Dieses Vorbringen blieb ohne substantiierte Bestreitung der Beklagten. Somit bedarf es gar keiner Interessenabwägung, um die von der Beklagten beauftragte Videoüberwachung (in der auf das Nachbargrundstück ausgerichteten Form) als rechtswidrigen Eingriff in die Privatsphäre des Klägers zu qualifizieren.