OGH-Entscheidungen vom 25.4.2023, 4 Ob 236/22t

 

Sachverhalt:

Der Beklagte besuchte bei einer Baumesse den Stand der Klägerin und besichtigte dort Einbauküchen. In der Folge kam es zum Abschluss eines Kaufvertrags zum Bruttogesamtpreis von ca. 11.000 EUR. Dem Vertrag wurden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin zugrunde gelegt. Die AGB enthielten folgenden Passus:

„Tritt der Kunde – ohne dazu berechtigt zu sein – vom Vertrag zurück oder begehrt er seine Aufhebung, so haben wir die Wahl, auf die Erfüllung des Vertrags zu bestehen oder der Aufhebung des Vertrags zuzustimmen; im letzteren Fall ist der Kunde verpflichtet, nach unserer Wahl einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu bezahlen.“

In der Folge trat der Beklagten von dem mit der Klägerin geschlossenen Kaufvertrag zurück. Die Klägerin lehnte den Rücktritt ab und begehrte vom Beklagten als vertraglichen Schadenersatz den Kaufpreis abzüglich dessen, was sie sich infolge des Unterbleibens der Arbeit erspart habe (ca. 5.000 EUR). Die Klägerin stützte sich im Prozess aber nicht auf ihre AGB, sondern auf dispositive Bestimmungen des Zivilrechts.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach der Klägerin 20 % des Bruttoverkaufspreises zu. Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, dass es der Klage nahezu zur Gänze stattgab. Die Nichtigkeit einer Klausel in den AGB, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungspflichten betreffe, könne nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führen.

Der OGH gab der Revision des Beklagten nun Folge. Die Klage wurde abgewiesen. Der OGH hatte vorab ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.

Der EuGH erkannte mit Urteil vom 8. 12. 2022 (C-625/21, Gupfinger), dass die Klausel nichtig und unteilbar ist und als Ganzes ersatzlos entfällt. Die Klägerin kann sich bei Verwendung missbräuchlicher Schadenersatzklauseln nicht auf das dispositive Recht berufen und auf dieser Grundlage Schadenersatz vom Verbraucher verlangen. Die Klausel kann nicht in einen missbräuchlichen (die pauschale Stornogebühr iHv 20 %) und einen zulässigen Teil (Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens iSd § 921 ABGB) aufgespalten werden. Eine „geltungserhaltende Klauselabgrenzung“ wurde damit vom EuGH unterbunden.

Ein Gewerbetreibender, der einem Verbraucher eine missbräuchliche und folglich nichtige Klausel auferlegt hat, hat folglich keinen Anspruch auf eine Entschädigung auf Grundlage dispositiver Vorschrift des nationalen Rechts, selbst wenn der Vertrag ohne die nichtige Klausel fortbestehen kann. Dabei ist es laut EuGH unerheblich, dass die Nichtigerklärung der missbräuchlichen Schadenersatzklausel zur Folge hat, dass der Verbraucher von jeglicher Schadenersatzpflicht befreit wird. Dies diene dem langfristigen Ziel von Art 7 der RL 93/13/EWG, das darin bestehe, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Abschreckungseffekt ein Ende zu setzen.

Nach der Rechtsprechung des OGH ist eine Klausel in AGB, die eine pauschale Stornogebühr von 20 % des Kaufpreises bei unbegründetem Vertragsrücktritt durch den Käufer festlegt, für den Verbraucher insbesondere wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr gröblich benachteiligend iSv § 879 Abs 3 ABGB und daher nichtig. Die gegenständliche Vertragsklausel ist daher nichtig. Dies führt – im Sinne der oben wiedergegebenen Vorabentscheidung des EuGH – dazu, dass die Klägerin nicht den Schadenersatz beanspruchen kann, der ihr nach § 921 ABGB – welche Bestimmung ohne die AGB-Klausel anwendbar gewesen wäre – zustünde, und zwar trotz des Umstands, dass die Klägerin ihre Schadenersatzforderung nicht auf die unwirksame AGB-Klausel, sondern auf das allgemeine Zivilrecht stützte. Der Klagsanspruch besteht daher nicht zu Recht.

 

 

Link zur OGH-Entscheidung

Link zur EuGH-Entscheidung

 

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