OGH-Entscheidung vom 20.4.2021, 4 Ob 63/21z

 

Sachverhalt:

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) klagte die Betreiberin einer Fluglinie, da sie zahlreiche Klauseln aus deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck – ABB) für rechtswidrig hielt.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren teilweise statt. Der OGH befand die Revisionen beider Parteien für berechtigt.

In seiner Begründung hielt der OGH eingangs fest, dass die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB sich auf nachteilige überraschende und ungewöhnliche Klauseln bezieht. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist (Transparenzgebot). Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der AGB-Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen hat. Zudem ist eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess unzulässig.

Zur Klausel „Falls irgendeine in diesen Beförderungsbedingungen enthaltene oder in Bezug aufgenommene Bestimmung zu unseren Tarifen oder zu Gesetzen in Widerspruch steht, haben diese Tarife oder Gesetze Vorrang“ führte der OGH aus, dass diese Klausel eine Vorrangregelung zugunsten gesetzlicher Bestimmungen normiert. Der OGH hielt diese Klausel für intransparent, da für den durchschnittlichen Verbraucher ein allfälliger Widerspruch der ABB zu gesetzlichen Bestimmungen nicht durchschaubar und ohne Gerichtsverfahren nicht überprüfbar ist und er auch nicht zu beurteilen vermag, welche dispositiven Normen in einem solchen Fall an die Stelle der gesetzwidrigen Klausel treten. Außerdem sei die Klausel nicht textverständlich.

Zu einer Klausel betreffend die Ersatzausstellung eines Flugscheins bei erheblicher Beschädigung oder Verlust führte der OGH aus, dass unklar sei, was unter erheblicher Beschädigung zu verstehen ist. Die Verrechnung eines „angemessenen Serviceentgelts“ im Falle einer Ersatzausstellung ermögliche der Beklagten die willkürliche Bestimmung dessen, was für ihre Leistung angemessen sein soll. Auch die Verpflichtung des Verbrauchers zur Abgabe eines Zahlungsversprechens für den Ersatzflugschein, wenn der ursprüngliche Flugschein von einer anderen Person eingelöst wird, kommt einer Erfolgshaftung gleich. Die Klausel war damit intransparent und gröblich benachteiligend.

Auch die Klausel „Sollten Sie über ein nach den Tarifbedingungen erstattbares Ticket verfügen und noch keine Teilstrecke abgeflogen haben, steht es Ihnen frei, sich den Ticketpreis gemäß den Tarifbestimmungen erstatten zu lassen. Sie verlieren damit Ihren Beförderungsanspruch.“ befand der OGH für intransparent, da unklar bleibt unter welchen Umständen ein Ticket erstattbar ist. Aufgrund des allgemeinen Verweises auf die Erstattungsfähigkeit eines Flugscheins nach Maßgabe der Tarifbestimmungen bleibt dem Verbraucher verborgen, ob bzw unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe er für einen nicht in Anspruch genommenen Flug eine Erstattung erhält. Selbst bei Nichtinanspruchnahme eines nicht erstattungsfähigen Tickets müssen jedenfalls die unverbrauchten Steuern und Gebühren zurückerstattet werden; darüber klärt die Klausel allerdings nicht auf. Sie ist daher geeignet, den Verbraucher von der Geltendmachung solcher Kosten abzuhalten, weshalb sie ihm ein falsches Bild von seiner Rechtsposition verschafft.

Auch eine Klausel, in der sich die Beklagte das Recht vorbehielt, die Erstattung für einen Flugschein abzulehnen, welchen der Verbraucher Behörden zum Nachweis seiner Absicht, das Land wieder zu verlassen, vorgelegt hat, außer dieser könne zur Zufriedenheit der Beklagten nachweisen, dass er die Erlaubnis hat, in dem Land zu bleiben oder er das Land verlassen wird, wurde vom OGH als intransparent bewertet. Denn was die Beklagte als zufriedenstellenden Nachweis erblickt, bleibt für den Verbraucher vollkommen offen.

Die Einbeziehung von Beförderungsbedingungen anderer Code Share-Partner in die Beförderungsbedingungen einbezogen hielt dem Transparenzgebot ebenfalls nicht stand. Der Verbraucher darf über seine vertragliche Position nicht im Unklaren gelassen werden. Dem Verbraucher kann nicht aufgebürdet werden, unterschiedliche AGB miteinander zu vergleichen und zu prüfen, ob die Bedingungen der Code Share-Partner allenfalls von jenen der Beklagten abweichen. Darüber hinaus setzt die wirksame Einbeziehung von AGB in einen Vertrag unter anderem voraus, dass der Kunde die Möglichkeit hat, von den AGB Kenntnis zu nehmen.

Eine Klausel, wonach im Falle der Verhinderung aufgrund höherer Gewalt zwar der Flugpreis erstattet werde, jedoch nur dann, wenn der Verbraucher der Beklagten den Umstand höherer Gewalt umgehend mitgeteilt und nachgewiesen hat, wurde ebenfalls als intransparent und auch sittenwidrig beurteilt. Ebenso der Abzug eines Verwaltungsentgelts. Denn der Fluggast ist nicht Verursacher dieser Kosten, zumal der Grund für die Nichtdurchführbarkeit des Fluges nicht in seine Sphäre fällt. Die Unmöglichkeit der Leistung hat der Leistungserbringer zu behaupten und zu beweisen. Dies gilt umso mehr, wenn für den Reisenden die für den Leistungsausfall maßgebenden Hinderungsgründe, wie dies bei einem Flugausfall typisch ist, nicht durchschaubar sind und für ihn daher ein Beweisnotstand vorliegt.

Im Hinblick auf das Datenschutzrecht befand der OGH folgende Klausel ebenfalls für intransparent und einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 und Art 13 Abs 1 DSGVO: „Sie erkennen an, uns Ihre persönlichen Daten zu folgenden Zwecken zur Verfügung gestellt zu haben: Vornahme von Flugbuchungen, Kauf von Flugscheinen, Erwerb von Zusatzleistungen, Entwicklung und Angebot von Dienstleistungen, Durchführung von Einreiseformalitäten sowie die Übermittlung solcher Daten an die zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der Durchführung Ihrer Reise. Sie ermächtigen uns, diese Daten ausschließlich zu diesen Zwecken an uns, das Flugschein ausstellende Reisebüro, Behörden, andere Fluggesellschaften oder sonstige Erbringer vorgenannter Dienstleistungen weiterzugeben.“ Da der Kunde die Zuverfügungstellung persönlicher Daten für bestimmte Zwecke „anerkennen“ soll, will die Beklagte eine Zustimmung des Kunden zur Datenverarbeitung erreichen; es handelt sich daher um eine Zustimmungsfiktion. In der Klausel fehlt zudem die Bezugnahme auf eine dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechende Interessenabwägung. Hinzu kommt, dass die Verarbeitungszwecke nur ganz allgemein und ausufernd umschrieben sind, weshalb der Kunde die konkreten Zwecke, zu denen eine Datenverarbeitung erfolgen soll, nicht überschauen kann. Das Gleiche gilt für die möglichen Empfänger der verarbeiteten Daten.

Auch die Klausel „Die Beförderung von behinderten, kranken oder anderen Personen, die besondere Betreuung benötigen, muss vorher angemeldet werden. Fluggäste, die uns auf die Notwendigkeit besonderer Betreuung bei Kauf des Flugscheins hingewiesen haben und von uns zur Beförderung angenommen worden sind, werden von der Beförderung nicht auf Grund ihres Betreuungsbedarfs ausgeschlossen.“ ist gröblich benachteiligend. Bei der im Verbandsprozess gebotenen Auslegung im kundenfeindlichsten Sinn besagt die Klausel, dass sich behinderte, kranke oder sonst betreuungsbedürftige Personen vorher anmelden müssen und die Beklagte in der Folge über die Annahme zur Beförderung entscheidet. Kriterien für die Auswahlentscheidung enthält die Klausel nicht. Damit verstößt die Klausel gegen die zwingende Vorschrift des Art 3 der VO 1107/2006/EG. Danach darf sich ein Luftfahrtunternehmen nicht weigern, einen behinderten Menschen oder eine Person mit eingeschränkter Mobilität an Bord zu nehmen, sofern die betreffende Person über einen gültigen Flugschein und eine gültige Buchung verfügt. Von dieser Beförderungspflicht darf gemäß Art 4 leg cit nur abgewichen werden, um normierten Sicherheitsanforderungen nachzukommen, oder wenn wegen der Größe des Luftfahrzeugs oder seiner Türen die Anbordnahme oder die Beförderung dieses behinderten Menschen oder dieser Person mit eingeschränkter Mobilität physisch unmöglich ist.

Weitere Klauseln wurden als ebenfalls  intranspatent und/oder gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB oder sonst rechtswidrig beurteilt. Diese können dem Entscheidungstext entnommen werden:

Link zum Entscheidungstext

 

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