Beschluss des OLG Wien vom 10.1.2022, 33 R 126/21y

                  

Sachverhalt:

Die Antragstellerin beantragte die Eintragung der Wortmarke „TSCHIN“ für Biere, verschiedene alkoholfreie Getränke sowie verschiedene alkoholische Getränke.

Das Patentamt wies den Antrag ab. Die beteiligten Verkehrskreise würden das Zeichen nur als Hinweis darauf sehen, dass es sich bei den damit bezeichneten Waren um Gin und „verwandte“ Produkte (also mit Gin versetzte oder dafür einsetzbare Substanzen) handle. Der Bedeutungsgehalt des Worts „Tschin“ erschließe sich jedenfalls nach kurzer Betrachtung (oder gedanklicher Aussprache des Zeichens). Für Waren, die keinen Gin enthalten, sei das Zeichen wegen Täuschungseignung von der Registrierung ausgeschlossen. Davon abgesehen sei es nicht geeignet, als individualisierender Unternehmenshinweis zu dienen, sodass ihm die Unterscheidungskraft fehle.

 

Entscheidung:

Das OLG Wien gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. „Gin“ ist allgemein als Bezeichnung für eine Spirituose mit Wacholder bekannt. „Tschin“ ist zwar kein Wort der deutschen Sprache und unterscheidet sich optisch klar von „Gin“, ist aber ohne gedankliche Operation als Verballhornung (konkret: als Eindeutschung) von „Gin“ erkennbar.

Gemäß § 4 Abs 1 Z 3 MSchG sind solche Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben. Eine Marke ist unterscheidungskräftig, wenn sie geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Maßgeblich ist die Auffassung der beteiligten Verkehrskreise im Inland. Bei Wortmarken bejaht die Rechtsprechung die Unterscheidungskraft nur bei frei erfundenen, keiner Sprache angehörenden Phantasiewörtern oder bei Zeichen, die zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehören, jedoch mit den Waren oder Dienstleistungen, für die sie bestimmt sind, in keinem Zusammenhang stehen. Beschränkt sich die Neubildung auf eine Verballhornung, Falschschreibung oder sonstige Abwandlung eines nicht unterscheidungskräftigen Worts, und ist die Abwandlung ohne Weiteres, also zweifelsfrei und ohne gedankliche Operation, als solche erkennbar, so ist auch die Abwandlung nicht unterscheidungskräftig.

Nach § 4 Abs 1 Z 8 MSchG sind außerdem solche Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die geeignet sind, das Publikum zum Beispiel über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen. Für die alkoholfreien Getränke und Biere bestehe die Gefahr der Irreführung zumindest eines Teils des Publikums. Für die alkoholischen Getränke, die Gin enthalten, ist „Gin“ von vornherein kein Phantasiewort, weder im engeren noch im weiteren Sinn, sodass es auch seiner Verballhornung (Eindeutschung) „Tschin“ an der Unterscheidungskraft fehlt.

Auch, dass DPMA und EUIPO bereits zuvor „TSCHIN“ als nationale deutsche Marke bzw. Unionsmarke registrierten, konnte das OLG Wien nicht umstimmen, da Markeneintragungen grundsätzlich keine präjudizielle Wirkung für andere Verfahren entfalten.

Zusammengefasst bestätigte das OLG daher die Entscheidung des Patentamtes, lies den Weg zum OGH per ordentlichem Revisionsrekurs jedoch zu.

 

 

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